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Artikel

Angelusläuten in der Architektur: Architektur, Surrealismus & Parafiction

Es gibt nichts Schlimmeres für einen Architekten als den Satz: Das ist nicht realistisch! Architekten sollten aber nicht vor dem Pragmatismus der Realität kapitulieren, sondern trojanische Pferde satteln für die Eroberung neuer Welten. Um das zu zeigen, setzt der Autor auf das Konzept der »Parafiction« von Carrie Lambert-Beatty und das Vorbild des Surrealismus, eine bis heute andauernde Rebellion gegen die Realität. Der Surrealismus teilt mit der »Parafiction« Techniken der Collage und der Aneignung des Objet trouvé, Scherz, Ironie, Trickster-Mythos und Parodie. Es ist ein theoretisches Setting, das die ästhetische Entfremdung des Realismus erlaubt. Damit gerüstet interpretiert der Autor den »Ángelus arquitectónico« von Salvador Dalì - und mit ihm die Architektur im Allgemeinen - als ein »parafiktionales Objekt«. Er spannt einen Bogen auf von Jean-François Millets »Angelusläuten« über das »Retroaktive Manifest« von Rem Koolhaas bis zu zum »Kynischen Manifest« von Garcia Cruz und Nathalie Frankowski und geht auf die Themen von Utopie, Ideologie und Kritik ein. Entlang dieses Parcours begegnen sich die Figuren der Moderne und der Spätmoderne, der Paranoiker und der Kyniker. Die parafiktionale Kunst von Cruz und Frankowski schwenkt von der Ober- zur Untersicht. Die beiden zeigen den Angelus von Dalí aus einer ganz neuen Perspektive. Für die Rückeroberung der Zukunft benötigen wir den Standpunkt des Kynikers, der »von unten« kritisiert, ein Leben führt im Widerstand und im Gelächter und sich auflehnt gegen den Sarkasmus und den Zynismus unserer Zeit ...
29.11.2024

Schön, wie das zufällige Aufeinandertreffen von Surrealismus und Künstlicher Intelligenz auf einem sibirischen Flughafen, 1965, gemalt von Hieronymus Bosch

In »Les Spectateurs (La Naissaince de l’ Objet)« des Surrealisten Paul Nougè verhalten sich fünf Personen so, als würden sie ein Bild betrachten. Doch das Bild fehlt. Die Abwesenheit gehört zur Programmatik des Surrealismus. In der unerwarteten Nachbarschaft von Surrealismus und KI-Kunst findet der Autor eine faszinierende Perspektive auf die gegenwärtige künstlerische Medienreflexion. Eine Philosophie der KI-Kunst müsste bei der Nicht-Identität ansetzen, die mediale Differenz betonen und den konzeptionellen Eigenwert des Mediums hervorheben. So konnte der Surrealismus zum Modellfall einer generativen Kunst werden. Können das auch die KI-generierten Werke werden? Lev Manovich wirft den Künstlern unserer Zeit vor, es fehle ihnen eine Philo-sophie, so wie sie die Surrealisten hatten. Er empfiehlt den Datenkünstlern, anstatt immer rationaler zu sein, die Irrationalität zur Methode zu machen. Nur, hält er sich selbst daran? Man findet in Manovichs Arbeiten zwei unterschiedliche Positionen: Eine »Ästhetik der Unmittelbarkeit«, die die Realität immer »besser« darstellen möchte, und eine »Ästhetik der Effekte« in seinen KI-generierten Bildern. Wenn Manovich seinen Erfolg damit begründet, dass er nie die Zukunft einfach spekulativ vorweggenommen habe, sollte man ihm entgegenhalten, dass gerade das Moment des Spekulativen, des Andersmöglichen und des Noch-nicht-Realisierten die Kunst zur Kunst macht.
09.09.2024

Renè Magritte »Das ist kein Apfel« - Bild und Realität in der KI-Kunst

Die KI-generierten »surreal images« eröffnen eine vielversprechende Perspek-tive auf unsere (post-)digitale Welt. Was passiert, wenn Künstliche Intelligenz auf Kunst trifft? Was offenbart uns der Blick in die Trainingsbibliotheken, mit denen man der Künstlichen Intelligenz das Sehen beibringt? Blenden wir, gefesselt von der schwindelerregenden und hypnotischen Geschwindigkeit, mit der die Maschine auf Hundertausende Bilder zugreift, konsequent das aus, was Kunst al-lererst zu Kunst macht: das Freisetzen offener Potenziale? Im »Deeplearning« verknüpft die KI Bilder mit Worten. In diesem Kontext er-scheint vieles »surrealer«, als es sich Magritte jemals hätte erträumen können. Wir sollten darüber nachdenken, was in den verborgenen Schichten des künstli-chen neuronalen Netzwerkes vor sich geht, wer dort das Sehen übernimmt, in welchem Verhältnis die KI-generierten Bilder der KI zur Realität stehen und welch-es künstlerische Potenzial diese Bilder haben. Adrian Mackkanzie schlüpft in die Rolle des »Code-Beobachters«. Sein Konzept des »Diagramms« erschließt nicht nur eine neue Sichtweise auf die KI-generierten Bilder, sondern hilft uns auch zu verstehen, was die Magritte und die Arbeit der Algorithmen verbindet und was sie unterscheidet ...
29.08.2024

Der »Weg durch den Fisch« - Über Architektur und Klettern

Am 29.04.2007 avancierte der Tiroler Hansjörg Auer zum Shootingstar der Kletterszene, weil es ihm gelang, in nur knapp drei Stunden den »Weg durch den Fisch«, eine Route im höchsten Schwierigkeitsgrad in der Südwand der Marmolada, im Free Solo zu durchsteigen, also ohne Hilfsmittel und Sicherung. Mit diesem Husarenstück sprengte er die Vorstellung dessen, was machbar ist. Für den Architekturtheoretiker Sanford Kwinter ist das Klettern eine Architektur, bei der an die Stelle der Typologie die Topologie der Form tritt, die von Tendenzen und Richtungen vektorieller Kräfte bestimmen wird. Architektur ist für ihn Praxis und Technik in einem dynamischen Feld von Ereignissen, das von Bewegung, Komplexität, Zeit und Objekten geformt und von spezifischen Regimen beherrscht wird. In seinem Essay »The Complex and the Singular« macht Kwinter den Kletterer zur paradigmatischen Figur unserer Zeit und zum Protagonisten einer zeitgemäßen Theorie von Form und Innovation. Der Autor entwickelt auf dieser Grundlage von Kwinters Text das Konzept einer kulturellen Topologie. Damit beschreibt er Operationen, Funktionen, Attribute und Dynamik der Kultur als Matrix von Veränderungen und zeigt die Relevanz des Konzepts für die Architektur.
12.07.2024

Beweise für die Sichtbarkeit. Über die Fotokunst von Thomas Ruff

Thomas Ruff schafft mit seiner Fotografie kein Abbild der Welt, sondern reflektiert ästhetisch und wissenschaftlich das Medium der Fotografie. Er lotet die Grenzen der Fotografie aus, in welchem Kontext sie auf welche Weise funktioniert. Nicht das einzelne Bild interessiert ihn. Statt einfach mit einem Bild zu starten und seine Bedeutung Bild für Bild weiter auszubauen, benutzt er die Serie, um das Einzelbild zu relativieren. Er konstruiert nicht mehr, sondern de-konstruiert. Im Operationsraum der Serie erkundet er die unterschiedlichsten Genres und Spielarten der Fotografie und führt sie an ihre Grenzen. Seit etwa zwei Jahrzehnten nimmt er kaum noch selbst eine Kamera zur Hand sondern verwendert für seine häufig großformatigen Bilder fotografisches Material, das er in Archiven oder im Internet findet. Im Fall der »nudes« verleiht er dem pornografischen Material aus dem Internet mit Weichzeichnern eine malerische Qualität. Die Serien ruhen nicht einfach in sich. Die einmal gefundene künstlerische Strategie der »nudes« wendet Ruff auf den Barcellona Pavillon von Mies van der Rohe an und stellt so dem Paradigma der Transparenz die Ungenauigkeit der Fantasien, Projektionen, Träume und Sehnsüchte gegenüber ...
09.09.2023

Sensemaking Machine - Paranoia, Surrealismus & Künstliche Intelligenz

Der Paranoiker ist die paradigmatische Figur der Gegenwart. Er stellt Beziehungen her zwischen einem flüchtigen Blick und dem Weltganzen. Er findet Verknüpfungen dort, wo vorher keine waren. Das ist eine gute Definition für die paranoische Grundstimmung unserer Zeit, aber auch für die Künstliche Intelligenz, deren Bilder »schön sind, wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch«, so der berühmte Satz, den die Surrealisten so sehr liebten. Der Autor nimmt die im Internet kursierenden »surreal images« zum Anlass, um die unerwartete Nachbarschaft von Surrealismus und ökologischem Denken in den KI-generierten Bildern zu reflektieren. In diesen Bildern findet er nicht nur zentrale Konzepte und Techniken des Surrealismus, sondern auch eine »originale Syntax«. Jacques Lacan bezeichnet damit den Zusammenhang von Paranoia und Theorie, also eine ganz eigene Art der Herstellung von Wissen über die Welt, eine paranoischen Analytik, die kulturellen Vorurteile und Verzerrungen einer Gesellschaft beinhaltet, die sich selbst im Spiegel sieht. Wie entkommt man einer kritischen Praxis, die dem Verdacht eine methodologische Schlüsselrolle zugesteht? Der Autor findet in den Gedanken der Queerdenkerin Eve Kosofsky Sedgwick den Schlüssel für eine kritische Neubewertung unserer digitalen Kultur. Auf der Suche nach »reparativen Praktiken, die paranoide kritische Projekte durchdringen« (Sedgwick) öffnet er einen Raum, in dem wir uns von der festgefahrenen Frage ‹Ist KI Kunst und wie können wir das feststellen?› wegbewegen können, um uns einer anderen Fragen zu widmen: Was kann KI-Kunst?
17.07.2023

Asmarina, Asmarina

Es ist viel geschrieben worden in den letzten Jahren über Asmara. Mit Leichtigkeit, Scharfsinn und Sensibilität und oft auch mit einem Gespür für das Schicksal der Menschen. Die Stadt taucht in einem Kaleidoskop von Bildern und Erzählungen auf. Vom „Charme des Maroden“ ist die Rede, vom Déjà-vu-Erlebnis, das sich einstellt, wenn man einen Ort besucht, der sich seit der Zeit seiner Entstehung kaum verändert hat. Von der wunderbaren Architektur sowieso. Der Mix aus Moderne und Nostalgie fasziniert die Menschen. Der Zauber des Ortes kann aber auch in einen Teufelskreis führen, wo selektive Wahrnehmung der Vergangenheit die aktive Gestaltung der Gegenwart blockiert. Die schönen Fassaden Asmaras können die Probleme des Landes nicht verbergen.
17.05.2023

SO, WIE WIR LEBEN. Über die Fotokunst von Iwan Baan

Eine Ausstellung des niederländischen Fotografen Iwan Baan trägt den Titel »The Way We Live«. Er zählt zu den weltweit einflussreichsten Architekturfotografen der Gegenwart und ist dafür bekannt, dass er den Menschen in den Mittelpunkt stellt und mit ihm die Frage: Wie leben wir zusammen? Baan interessiert sich für Orte und öffentliche Räumen und für das, was Menschen dort machen. Er hört auf andere Stimmen, nicht weil sie exotisch sind oder weit hergeholt, sondern weil sie zeigen, wie schwierig es sein kann, Selbstverständliches ins Auge zu fassen und die Verwirrungen, die entstehen, wenn Menschen Gebäude bewohnen. In einer Zeit, in der die Politik Verzweiflung hervorruft, scheint es angebracht, unsere Aufmerksamkeit erneut auf die Art und Weise zu richten, wie wir unsere Welt bewohnen. Wie und durch welches Medium sollen die Orte dargestellt werden, an denen sich die Menschen treffen, um ihre Anliegen zu besprechen? Wie holt man das Leben in die Architektur zurück?
05.05.2023

Mezzédimi - Der Architekt des Kaisers

MEZZÈDEMI folgt den Spuren des italienischen Architekten Arturo Mezzèdemi, der unter der Herrschaft des letzten äthiopischen Kaisers Hailé Selassié eine außergewöhnliche Kar-riere machte. Der Film handelt von der Vergänglichkeit von Orten, Geschichten und Geschichte, dem prekären Status des Lebenswerks, vom Pathos und Scheitern der Moderne in Äthiopien und der Dekolonisierung unseres Blicks auf Afrika. So entsteht über vier Dekaden ein spannendes Thema in seiner Entwicklung, bei dem der Kaiser das leere Zentrum mar-kiert und die Architektur zur »écriture testamentaire« wird, affiziert von den Toten ...
05.05.2023

Vitruvs Ameisenmühle

Man sagt, Vitruv habe als Erster den technologischen Diskurs codiert und eine Sprache dafür geschaffen. Seine Vergleiche zwischen dem Mechanischen und dem Natürlichen führen weit über die Analogie zwischen dem Kosmos und dem mechanischen Modell dafür hinaus. Vitruvs Maschinen beinhalten den Entwurf eines Raumes, in dem Wind, Wasser und Architektur kommunizieren. Sie führen uns zur Einsicht, dass es einen einzigen und unmittelbaren Kommunikationsraum nicht geben kann, weil sich der “logos” immer aus heterogenen Elementen zusammensetzt. Wie stellt man das Undarstellbare dar? Mit welchen Ereignissen lässt sich eine Ordnung überhaupt finden? Antworten auf diese Fragen liefert die originelle Philosophie der Anfänge und Vielheiten von Michel Serres, die dazu einlädt, Vitruvs Traktat neu zu lesen. Dieses Denken setzt nicht auf perfekte Symmetrien und Gleichgewichte, auf Ordnung, Organisation und Wissen, sondern auf Chaos, Verzweigung und Intuition. Es folgt dem Flug einer Fliege, den Wasserkräuseln und den Spuren von Ameisen...
04.05.2023

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