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Amerika, quo vadis? Über die Fotokunst von Gregory Crewdson

I THE AMERICAN DREAM

Einleitung

Der Himmel ist blau. Der Zaun ist weiß gestrichen. Davor stehen rote Rosen. Die Star and Strips stellen sich wie von alleine ein. Eine Lehrerin begleitet Kinder über die Straße, in Zeitlupe grüßt ein Feuerwehrmann. Ein älterer Herr vollzieht gerade das rituelle Sprengen des perfekt gestutzten Rasens. Plötzlich bricht der Mann mit dem Wasserschlauch zusammen. Die Kamera schwenkt in ein dunkles Gewusel aus Insekten unter dem Rasen. Ein von Ameisen bekrabbeltes Ohr wird zum »Eingang in eine andere Welt«. Mit dieser berühmten Szene öffnet Blue Velvet das Panorama der amerikanischen Vorstadt. Dass der American Dream gerade dort Hand in Hand geht mit dem American Nightmare, ist bemerkenswert.

Im Wahlkampf machte Trump die Suburbia zur Kampfzone. Dort leben mehr als die Hälfte der Amerikaner, also auch viele von denen, die ihn millionenfach gewählt haben. Einst war die Vorstadt der Ort der Verheißung, man glaubte fest daran, dort ließe sich der American Dream verwirklichen. Heute zieht dort das Gespenst des neuen, »allowable, even fashionable« Faschismus herum.

»I think«, schreibt Umberto Eco über den Faschismus, »it is possible to outline a list of features that are typical of what I would like to call Ur-Fascism, or Eternal Fascism. These features cannot be organized into a system; many of them contradict each other, and are also typical of other kinds of despotism or fanaticism. But it is enough that one of them be present to allow fascism to coagulate around it.«

Die Spaltung der Gesellschaft in unversöhnliche Lager, die Konstruktion von Feinden, die Demontage der Demokratie als Herrschafts- und Lebensform und der Agriff auf den Rechtsstaat - in den USA vollzieht sich die Erosion der Demokratie. Als Kamela Harris gefragt wurde, ob sie Trump für einen Faschisten halte, antwortete sie mit »Yes, I do«. Seitdem dauert die Diskussion darüber an. Nach der ersten Amtszeit von Trump atmeten viele noch auf, weil wenig da war, was über ihn als Person hinauswies. Heute ist sein Angriff auf die Institutionen der Demokratie nicht mehr nur erratisch, sondern planvoll. Wenn der Sturm auf das Kapitol als Beweis für die Rückkehr des Faschismus in Amerika gilt, so fragt man sich: Wann und wo war er dann vorher? Es geht um die Kultur. Ob Trump ein Faschist ist oder nicht, ist nicht nur eine politische, sondern eine kulturelle Frage.

»It›s the culture, stupid!«

Mit dem Slogan »Make America Great Again« (MAGA) bedient Trump Emotionen, mit denen er die wirtschaftliche Unzufriedenheit zum »kulturellen Kampf« ausweitet. Es ist ein Kampf all jener ist, die glauben, alle wesentlichen Entwicklungen würden an ihnen vorbeigehen, ein Kampf des »Amerika der Abgehängten«. Trump spielt darin die Rolle des »game-changer«, der Normen bei Bedarf aufgibt und den Trumpf der kulturellen Selbstbehauptung ausspielt. Betrachtet man den neuen Faschismus als eine Form des »politischen Mythmakings«, so gibt Trump den Meister darin, amerikanische Kernmythen zu reaktivieren. Er verspricht, den American Dream zurückzubringen. Den Vorstädten kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, weil in ihnen der mythische Subtext eingebettet ist. Die sozialen Probleme des 21. Jahrhunderts dürfen nicht losgelöst davon betrachtet werden. Nun könnte man einwenden, dass dieser Traum eben nur ein Traum ist, ein Mythos, der mit der Realität Amerikas wenig zu tun hat. Aber gerade der Mythos macht die Vorstädte zum Dreh- und Angelpunkt. Erstens, weil Amerika immer schon von seinen Kernmythen lebte und zweitens, weil den Amerikanern heute eine verbindliche Narration fehlt, die ihre Geschichte mit der Zukunft vermitteln könnte. Der neue (alte) Exzeptionismus und die Spaltung des Landes radikalisieren sich. Das Land steht an der Wendemarke, an der es entweder in den offenen Faschismus abgleitet oder sich mit der liberalen Moderne versöhnt.

»While suburbs existed prior to World War II, the shift toward a suburb-focused society was a historical first, sending a clear message that the future was now, and the future was suburbs. The model was so well received that it became the bar at which all success was measured. Soon enough, suburban life became synonymous with the American Dream.«

Gregory Crewdson greift die Kernmythen der Amerikaner in seinen Fotografien auf. Bei ihm ist die amerikanische Vorstadt ein Seismograph krisenhafter Stimmungen und großer Verwerfungen, eine Bühne, mit der er auf eine geradezu prophetische Weise die Immobilienkrise, die politische Situation der Trump Ära und die weltpolitischen Verwerfungen kommentiert. Die Vorstadt ist nicht mehr der Ort der Verheißung, sondern der Alpträume der amerikanischen Mittelschicht, eine »klaustrophobische Vorhölle mit unterdrückter Gewalt«, die der Künstler subtil ins Bild holt. Die Fotos von Crewdson sind Dokumente der »dark side« des American Dreams. Sie legen Zeugnis ab vom psychologischen und moralischen Niedergang einer Gesellschaft, die sich im Fahrwasser des skrupellosen Kapitalismus und seiner rückwärtsgewandten Projektionen befindet. Was kann man ihm entgegenhalten? Die beste Waffe gegen den Mythos ist der Mythos, sagt Roland Barthes. Crewdsons Kunst macht den Mythos decodierbar. In seinen Arbeiten werden verschiedene Ansätze sichtbar, die von der Dekonstruktion des Mythos über Strategien der De- und Remythifizierung bis zur Abwesenheit des Mythos als der »reinsten Form des Mythos« (Bataille) reichen.

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