Ursula von der Leyen setzte sich in ihrer Antrittsrede im Dezember 2019 vor dem Europäischen Parlament mit Nachdruck für eine neue Reforminitiative ein, um einen Weg zu finden aus den multiplen Krisen der Europäischen Union. Den Auftakt machte die Präsidentin der EU-Kommission mit großen Plänen zu Klimaschutz und einer Reihe von Maßnahmen, denen sie den Namen “European Green Deal” gab. Investitionen in “Green Recovery” und “Next Generation EU” sollen das Vorhaben stärken, um schneller aus dem Krisenmodus zu kommen. Als kollektives Bild1 für das ambitionierte Programm - die Rede war von einem “This is Europe’s Man on the Moon Moment” - verwendete von der Leyen auch das “Neue Europäische Bauhaus” (NEB), ein ökologisches, wirtschaftliches und kulturelles Projekt zur Umsetzung des Green Deals. Architekten, Designer, Kunstschaffende und Wissenschaftler rief sie dazu auf, sich in den nächsten Jahren daran zu beteiligen, “um den ökologischen Wandel durch eine Kombination von Nachhaltigkeit und Ästhetik zu unterstützen”. Für das Überleben des Planeten Erde gebe es genauso keine Alternative zum grünen Wandel, wie für das politische Projekt Europas den Prozess der Einigung. Was steckt hinter dem ambitionierten Versprechen der EU- Kommissionspräsidentin?
Eine neue »supreme fiction«?
Für Jacques Derrida bleibt Europas Identität immer “im Kommen”, sie sei prinzipiell unerreichbar und undenkbar. Das “iconographic deficit” (Koolhaas) und das Problem mit seinem Selbst-Bild resultieren aus dem Umstand, dass Europa seine Einheit in einer Ära fand, “in der das Ikonische in Verruf geraten war.” Das hält aber niemanden davon ab, auf der Suche nach “Europas Narrativ” Bilder strategisch zu nutzen, um Vorstellungen zu wecken und Meinungen zu beeinflussen. Jacques Delors Metapher vom “europäischen Fahrrad”, das immer bewegt werden müsse, damit es nicht umfällt, sollte die Dynamik der europäischen Integration zum Ausdruck bringen. Zu den prägnantesten Metaphern zählt die “Baustelle Europa”, ein zentrales Motiv für die “Fiktion Europa”, das zwar die Offenheit der Einigung in den Vordergrund rückt, dem allerdings die Beständigkeit als fixer Bestandteil des politischen Vokabulars fehlt. Die Abbildung von Architektur auf den Euro-Geldscheinen ist ein gutes Beispiel dafür, wie man eu-
ropäisches Bewusstsein in den Alltag der Menschen bringt. Neben dem häufig beschworenen gemeinsamen “Haus” oder “Dach” gehören auch die “Tür” und die “Brücke” zu den zentralen Motiven. Das von der Präsidentin der EU-Kommission lancierte “Europäische Bauhaus” steht also in einer langen Tradition von Bildern, mit denen sich die europäische “Projektgemeinschaft” identifizieren sollte. Brauchen wir überhaupt ein neues Narrativ für die grüne Zukunft Europas? Handelt es sich einfach nur um ein Label neben vielen anderen?
Das neue »Europäische Bauhaus«
Nicht nur die Architektenschaft applaudierte, als das neue Europäische Bauhaus der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die gesamte Bauwirtschaft freut sich auf die Fördertöpfe, welche die parallel zu diesem Projekt ausgerufene „Renovierungswelle“ verspricht. Die Renovierungsquote von Gebäuden soll in den nächsten zehn Jahren verdoppelt werden, Investitionen für klimagerechtes Bauen sind sicher. Für das Bauhaus als Metapher spricht, dass es bereits als Inbegriff von Erneuerung und Aufbruch fest in der kollektiven Imagination verankert ist. Die Idee des Wandels ist deshalb so attraktiv, weil das Vorhaben auf der These gründet, dass kulturelle Repräsentationen nicht nur den Verhältnissen nachlaufen, sondern zu Orten gehören, an denen sich Wandel vollzieht. Niemand leugnet den Bedarf an progressiven Ideen, denn einen radikalen Wechsel im Denken braucht es in Europa ganz dringend in zwei Bereichen: in der Klimakrise und in der Frage der Einheit. Beides hängt zusammen, denn die wichtigste Voraussetzung für Europa, um 2050 erster klimaneutraler Kontinent zu werden, ist seine Einheit. Um ihr ambitioniertes Ziel zu erreichen, spielt von der Leyen mit dem neuen Europäischen Bauhaus einen Trumpf aus: Es beinhaltet eine ökologisch motivierte Wachstumsstrategie wie auch eine symbolische Geste in Richtung der Demokratisierung einer solchen Aktivität. Nachhaltigkeit und Funktionalität des Bauhauses sind aber zu wenig. Der Wandel muss erfahrbar und begreifbar sein, im “guten Wohnen” und dem “besseren Zusammenleben”. Die groß angelegte Vision würde folgenlos bleiben, ließe sie sich nicht mit den Lebens(t)räumen der Menschen verknüpfen. Wie kann man den Grünen Deal in die Köpfe und in die Häuser der Menschen bringen? …