Fèlix Guattari erlebte die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl und den Unfall der Exxon Valdez. Unter den Spitzen der Eisberge dieser Ereignisse, die weder isoliert zu analysieren, noch als Ganzes zu begreifen sind, liegen seiner Ansicht nach die Beschädigungen, die vom »weltweit integrierten Kapitalismus« verursacht werden. Die Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit fand er in der »ökosophischen Erneuerung«. Um zu einem fundamentalen ökologischen Umdenken zu kommen, müssten wir »transversal« neue Verbindung zwischen Psyche, Sozialem und der Umwelt suchen, um Kreisläufe, die ins Stocken geraten sind, wieder in Bewegung zu setzen. Guattari prognostizierte die psychosozialen Erschöpfungszustände des 21. Jahrhunderts und fand Antworten darauf in seiner eigenen psychiatrischen Arbeit und in der Auseinandersetzung mit der Kunst.
“Die ökologischen Probleme können nur gelöst werden, wenn uns die Schaffung neuer, miteinander verschränkter Ökologien der Koexistenz und der Koevolution des Menschen mit dem Nichtmenschlichen gelingt.”
Die drei Ökologien
Guattari unterscheidet zwischen der physischen Umwelt, der sozialen und der mentalen Ökologie. Seine »Ökosophie« ist der Versuch, diese drei »Kernbereiche« als affektive Intensitäten aufeinander einwirken zu lassen, denn »UmWelten [versteht Guattari] weniger als Aussen, [als] das, was ›um die Welt‹ herum ist, […], sondern als transversal durch die Welten hindurch gehend«. Das Große ist nicht wichtiger als das Kleine, Paradigmen wechseln nicht mit einem Knall, sondern mit einem Wimmern. Deshalb betonen Guattari und Gilles Deleuze nicht den planetarischen Maßstab, sondern die »molekulare Revolution«. Guattari verfolgt die Absicht, Subjektivitäten zu ändern, soziale Gruppen zu motivieren und Kreativität zu fördern. Die Technikökologie breitet sich mit der Beschleunigung der digitalen Revolution aus. Guattari artikuliert ihre Register ästhetisch, ethisch und politisch. Die »transdisziplinäre Ökologie« will nicht transzendieren, sondern transformieren. Sie schafft die Voraussetzungen, unter denen sich Leben und Subjektivität entfalten können, steht der Subjektivität bei und hilft ihr, sich zu positionieren, als ein Knoten, um den herum ein »Territorium« und mit ihm ein »Universum von Bedeutungen« entstehen können.
“Die Kunst schafft laborhafte Situationen für neue Subjektivitäten.”
Neue Subjektivitäten
Der wohl originellste Anteil an Guattaris Theoretisierung von Ökologie ist sein Konzept der »neuen Subjektivitäten«. Er nimmt die wichtigsten Prozesse der Subjektivierung ins Visier – Wissen, Kultur, Sensibilität und Soziabilität – und greift in deren Regime ein. Mit dem Subjekt ist bei ihm keine individuelle Person gemeint, sondern ein »Terminal heterogener und multipler Komponenten«, von menschlichen Gruppen, sozioökonomischen Gebilden, informatorischen Maschinen usw. Guattari sucht, angetrieben von der radikalen Mutation der Subjektivität im »Zeitalter der planetarischen Computerisierung«, nach neuen »Koexistenzen«. Er findet sie in den Praxen der Ökologie, die für ihn Katalysatoren sind, um neue Möglichkeiten auszukundschaften, Widersprüche aufzudecken und Vektoren zu finden, die über das Bekannte hinausgehen. Die Ökopraxen erzeugen Fluchtlinien, die mit neuen Potenzialitäten verbunden sind. Mit der Kunst haben sie gemeinsam, dass auch sie unabgesichert nach neuen Wegen suchen. Guattari bezieht ästhetische, nichtzeichenhafte und präpersonale Phänomene mit ein, die »prozessieren« und »produzieren«. Er hat erkannt, dass die Informations und Kommunikationstechnologien auf die menschliche Subjektivität einwirken, »nicht nur innerhalb ihrer Erinnerung und ihres Verstandes, sondern auch ihrer Affekte und unbewussten Fantasien«.
Ökologie, Medium und Milieu
Das gegenwärtige ökotechnologische Leben ist nicht mehr nur durch Information vermittelt, sondern vielmehr durch sie konstituiert. Die ÖkoLogik des »und« verweist auf die mediale Tätigkeit des Verbindens, auf das »MediumWerden«. Aus medienökologischer Perspektive sind Medien und Technologien gleichermaßen informelle wie materielle Ökologien, die Akteure einbinden. Im Unterschied zur konventionellen Medientheorie mit ihrem Fokus auf Repräsentation und Funktion rückt die Medienökologie die subjektkonstituierenden und aktiven Momente in den Blick. Wenn sie nicht nur auf die technologischen Milieus fokussiert, kann es ihr auch gelingen, aufmerksam zu werden gegenüber den Existenzweisen von Tieren, Pflanzen und anderen nichtmenschlichen Akteuren. Das Verhältnis von Organismus und Umwelt wird dann nicht mehr vor dem Hintergrund einer wie auch immer gezogenen anthropologischen Differenz fixiert. »Kultur«, »Mensch« oder »Natur« bestehen nicht für sich, sondern sind etwas im Prozess wechselseitig Hervorgebrachtes, Produziertes oder Entworfenes. Sie sind etwas Mediales, weil Medien die Welt nicht ausdrücken, sondern erzeugen.
Die Philosophin Sybille Krämer erweitert in ihrem Buch Medium, Bote, Übertragung das MaschinenKonzept von Deleuze und Guattari, indem sie das Mediale als kollektivstiftenden Prozess interpretiert. Räume sind »Bildner von Subjektivität«, wenn sie zu einem Milieu werden, »wo ein Dasein als Mitsein verfasst ist«. Dinge und Räume können so zu »Mittlern« von Kollektiven werden, zu einem Medium, dessen Form die Art der »Koexistenz« prägt. Obwohl das » Milieu« nicht festzumachen ist – es ist bei Guattari »ein diffuses Terrain, Surround, Umgebung, schwimmende, treibende, fließende Ökologie« –, wird die Neubestimmung von Medialität als »Milieu« zur Crux der Medienökologie. Technologien können ein Milieu hervorbringen, eine Ökologie der Umgebung, der sozialen Maschinen, der Dingmaschinen und der Mentalitäten, die es bewohnen, ein Gefüge menschlicher und nichtmenschlicher Akteure.
“Die Übersetzung der Medienkunst ist eine ökologische Praxis.”
Die Arbeiten von MAEID sind experimentelle Settings von Medienästhetiken, die Pflanzen, Tiere und Technologien in ihr Interface miteinbeziehen. Sie sind Anordnungen von Experimenten, in denen das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Akteuren und Prozessebenen moduliert und aktualisiert wird. Die »Transversalität« dieser Experimente, die immer neue Fragen (»questioning the questioning«) aufwerfen, wird nicht in erster Linie von neuen Technologien bestimmt, sondern ist in der Natur begründet, die als materielle Immanenzebene aus Differenz besteht und Differenz hervorbringt, also ein ständiges Sich-Öffnen und »Anders Werden« erzeugt.
I Ein neues ökologisches Paradigma?
Guattari steht am Anfang der Neukonzeptionalisierung des Ökologischen, die seit den Neunzigerjahren den Sinn der Ökologie verschiebt. Ökologie wird zunehmend denaturalisiert (»Ökologie ohne Natur«), das heißt: Der Ökologie Begriff wechselt die Seite von der Natur zum Artifiziellen (Kybernetisierung, Environments, algorithmische und sensorische Umwelten) und besetzt »sogar vornehmlich unnatürliche Bereiche«. Es gibt keinen Lebensraum, den die Computer inzwischen nicht erobert hätten, vielmehr ist der Lebensraum Teil einer »planetary scale infrastructure« (Bratton), die den Kapitalwert aus der Informationskraft der lebendigen Materie extrahiert.
“Die planetarische Computerisierung der Welt nimmt totale Züge an.”
Die Computerisierung ist nicht abstrakt und der Computer ist nicht einfach ein Ding neben anderen. Betrachtet man mit Guattari den neuen »oikos« als offenes und heterogenes Gefüge »von ani-malischem […], […] pflanzlichem, kosmischem wie auch von maschinenhaftem Werden«, so ist die »maschinische Ökologie« in der Lage, das zweiwertige Denken von Mensch und Welt, Subjekt und Objekt zu überwinden und ein »Denken des AndersWerdens« zu entfalten. Die Frage, was Mensch, Technik oder Natur in einem essenzialistischen Sinne sind, ist umzuformulieren in die Frage, wie sie »werden«. Guattari […] »zielt auf die Bewegungen sich entwickelnder Prozesse ab, […] die sich konstituieren, definieren und gleichzeitig ihre Selbstdefinition wieder auflösen, und nicht auf statische Strukturen oder Systeme«.
Guattaris »maschinische Ökologie«
Bereits der AntiÖdipus enthält die Idee, dass Existenz und Sein grundsätzlich maschinisch, das heißt real und generativ sind: »Alles ist Maschine!« Selbst die Natur ist »like an immense Abstract Machine«39, das heißt: Der Mensch fügt ihr nichts Artifizielles hinzu, vielmehr ist die »maschinische Heterogenität« in die Natur selbst eingelassen. Die Zeit des Abspaltens des »Anderen«, der »Umwelt« und der »Natur«, sei vorbei, die »maschinische Ökologie« lasse die drei Ökologien technoökologisch ineinander übergehen. Als soziale Zusammensetzung und Verkettung von technischen, körperlichen, mentalen und sozialen Komponenten unterwandert sie die Oppositionen von Mensch und Maschine, Organismus und Mechanismus. Die Maschine steuert auf kein organisches Ganzes zu und verliert sich nicht in der »Suche nach dem verlorenen Paradies«. Guattari rückt die »Verschiebungen« in den Fokus, die Maschinen eröffnen. »Maschinen« sind wie Schlüssel. Einige erlauben es nur, einen Raum zu betreten, einige, mit dem Raum etwas zu tun, und wieder andere erlauben es, den Raum bis zur Unkenntlichkeit zu verändern.
TABLEAU I: The Eye of the Other (Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?)
Die Arbeiten von Daniela Mitterberger und Tiziano Derme (MAEID) schaffen Schnittstellen für die Interaktion zwischen Mensch und Tier (AnimalComputerInteraction, ACI). Im Fall des multimodalen und immersiven Projekts The Eye of the Other wird die Kommunikationsform der Nektarfledermaus angezapft
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