Die jüngsten Krisen verstärken den Trend weg von den Design-Debatten und hin zu den Überlebensfragen. Je mehr nämlich die Einsicht reift, dass beim Klimawandel schon alles zu spät sei, umso mehr setzt sich eine Öko-Politik mit magischen Impulsen durch, welche die Voraussage von André Malraux bewahrheitet, das 21. Jahrhundert werde ein »religiöses« sein. Die Vertreter der neue Zivilreligion drehen die Gebetstrommeln der Nachhaltigkeit. Sie ist - wie jede andere Religion auch - um Paradoxien und Dilemmata herum gebaut. In der »politischen Theologie der grünen Bewegung« (Bolz) begegnen sich Werthaltungen, Weltanschauungen, Lebensgefühle und eine fast absurde Heroik der Weltrettung als sich widersprechende »Wahrheiten«. Der Autor bezieht sich auf die »Öko-Kathedrale« des niederländischen Künstlers Louis Le Roy und interpretiert sie auf der Grundlage zentraler Gedanken Bruno Latours. Bekannt geworden ist der französische Denker mit der These, wir seien nie modern gewesen. In seinen »Existenzweisen« geht er auf Grundsatzfragen unserer Zeit ein: Welche Relevanz hat das ökologische Weltrettungsprogramm für personale und globale Existenzprobleme der Gegenwart? Taugt die Ökologie als zivile Ersatzreligion? Was können Architekt*innen daraus lernen?
In seinem Roman »A Burnt-Out Case« (1960) erzählt Graham Greene die Geschichte eines Architekten, der sich auf den Entwurf religiöser Gebäude spezialisiert hat. Irgendwann wird ihm alles zuviel. Auf der Flucht vor Ruhm und Familielässst er sich im Kongo nieder und pflegt dort mit seinem Assistenten Lebrakranke. Alles verläuft recht gut, bis er eines Tages auf den Zustand seines Gehilfen aufmerksam wird. Er sieht in ihm einen »unheilbar ausgebrannten Fall« (burn out). Green spricht damit einen Zustand von Erschöpfung an, der sich heute nicht mehr auf Individuen beschränkt, sondern eine »pathologische Landschaft« ungeahnten Ausmaßes bezeichnet. Die Krisen unserer Zeit rütteln am Imperativ von Produktivität, Unermüdlichkeit und ständiger Aufmerksamkeit. Die Bandbeite des kollektiven Burnout- Syndroms reicht vom Körper des Einzelnen über jenen der Gesellschaft bis hin zum erschöpften Zustand des Planeten. Wir sind mit der Erschöpfung unserer grundlegenden Ressourcen konfrontiert, den natürlichen Ressourcen des Ökosystems, den ökonomischen Ressourcen von Fürsorge und Solidarität und den subjektiven Ressourcen von Leistungsfähigkeit und privater Lebensführung.
Das Paradoxon von Effizienz und Nachhaltigkeit ...
Am Beginn der Nachhaltigkeitsdebatte steht der Bericht des Club of Rome (1972), dessen Autoren nach einem »Weltsystem« suchten, das »nachhaltig«, dh. gegen einen plötzlichen Kollaps gefeit ist. Die Debatten der »Gesellschaft der Nachhaltigkeit« bündeln sich in der Leitidee, dass »die Bedürfnisse der Gegenwart nicht auf Kosten derjenigen zu verwirklichen seien, die zukünftig ihre Bedürfnisse realisieren wollen«. Nachhaltigkeit enthält den Gedanken der »intergenerativen Gerechtigkeit«, sie ist die Fähigkeit, sich zu entwickeln, ohne die natürlichen Ressourcen für die Zukunft zu erschöpfen. Das Paradoxe dabei ist, dass wir alles noch effizienter machen wollen, um das zu erreichen. Wir unterwerfen die Zukunft einem ökologischen Management der Ressourcen, obwohl die »Müdigkeitsgesellschaft« (Han) ja deshalb die Erfahrung des Burn-out macht, weil sie Lösungen nicht mehr auf die eigene Leistungsfähigkeit zurückführen kann. Je mehr wir unsere Leistungsfähigkeit einsetzen, umso mehr müssen wir die eigene Beschränktheit akzeptieren. Komplexe Gesellschaften befinden sich in einer auf sich selbst zurückwirkenden Modernisierungsdynamik. »Risikogesellschaften«5 (Beck) steigern ihre Abhängigkeiten noch, weil zur Veränderung auch unvorhersehbare Ereignisse gehören. Nachhaltigkeit bietet keine endlich gefundene Lösung auf alle Probleme, sie gehört selbst zu einem Zirkel von Problemen, Dilemmata und Paradoxien. Wir sprechen hier von keiner Ausnahmesituation, denn Paradoxien repräsentieren das ganz normale Leben. Was tun? In einer Kurve muss man bewusst in der Kurve fahren und trotzdem schon weiter – aus der Kurve hinaus – schauen. Wir müssen immer weiter schauen, nach »Deformationsmöglicheiten« (Bachelard) suchen und nach Alternativen.
…