Amerika, quo vadis? Über die Fotokunst von Gregory Crewdson
Auf der einen Seite mehren sich die Abgesänge auf den American Dream, auf der anderen werden Leute wie Trump und Musk nicht müde, die Amerikaner mit Kernmythen ihrer Geschichte zu bedienen. Was fehlt, ist eine kohärente Narration, die die Vergangenheit des Landes mit seiner Zukunft vermitteln könnte. Im Wahlkampf entdeckte Donald Trump das mythische Substrat der amerikanischen Suburbia und nannte sie »a shining example of the American Dream«. Lange Zeit war die Vorstadt der materialisierte Mythos, der den sozialen Aufstieg und den Besitzes eines Einfamilienhauses versprach. Heute glauben viele Amerikaner nicht mehr daran. Mythen sterben aber nicht einfach, sie wandeln sich, man kann sie schaffen, auflösen und jederzeit wiederbeleben. Der Autor nähert sich dem Amerikanischen Traum in den Fußstapfen des Fotografen Gregory Crewdson. Er fotografiert die Suburbia und zeigt, wie das Irrationale, Rätselhafte und Unheimliche Einzug halten in den Alltag ihrer Bewohner, ohne das damit verbundene Narrativ vollständig zu klären: Was ist passiert? Wo befinden wir uns? Wie sind wir da hineingekommen? Plötzlich findet man sich in der Mitte von irgendwas. Ja, von was? Die Fotos sind wie eingefrorene Film-Stills, die um Tausende Details kreisen. Sie machen den Mythos »lesbar«. Die beste Waffe gegen den Mythos ist der Mythos selbst, sagt Roland Barthes. Crewdson dekonstruiert die Definiertheit der Suburbia selbst und schafft einen »American Dream unter Anführungszeichen« (Derrida), dessen definitorische Unsicherheit die Grundlage einer neuen Identität sein könnte. Seine jüngsten Arbeiten zeigen Menschen, die sich in zerstörte Wälder verirrt haben, isoliert und sprachlos. Ein Kommentar zur Situation in Amerika? Die reinste Form des Mythos ist die Abwesenheit des Mythos ... Das ist die vielleicht größte Herausforderung für Amerika.
08.01.2025