REVOLUTIONARY GROUNDS
Aufgabe
Die Aufgabe des Entwerfens ist die Planung und Durchführung einer Revolution in Innsbruck.
Gesellschaft
Um eine Revolution in Gang zu setzen, musst du Menschen für einen gemeinsamen Zweck begeistern und zusammenbringen. Welche Gruppe könnte das sein? Braucht es eine Revolution für die marginalisierten Gruppen (Migranten, Flüchtlinge, Obdachlose)? Oder für Tierschützer? Oder für Klimaaktivist:innen? Für Jungendliche oder nur für Senior:innen? Wen soll die Revolution an die Macht bringen? Eine bestimmte Gruppe oder niemanden? Was gewinnt man, wenn anstelle der Kapitalgesellschaft andere soziale Gemeinschaften den Raum besitzen? Ermöglicht das ein gemeinschaftliches Wohnen oder lediglich eine billige Behausung? Gibt es Vorbilder aus der Geschichte oder in der Gegenwart? Was bringt die Orientierung an ihnen? Sind Hausbesetzungen wirklich Vorbilder? Oder das kommunistische Wohnkombinat? Wie stark sind bei diesen Modellen Kontrolle und Disziplinierung?
Planung
Die Durchführung einer Revolution erfordert viel Organisation und Leidenschaft. Du hast mit größerer Wahrscheinlichkeit Erfolg, wenn du nicht nur improvisierst, sondern einen Plan erstellst. Erstelle einen Aktionsplan, der Aktivitäten, Zeitpläne, Verantwortungsbereiche usw. absteckt. Welche Akteure sind involviert? Welche Mittel braucht es, um etwas zu erreichen? Wie schaffst du eine Basis für deine Revolution?
Thema
Eine Revolution braucht ein Thema. Wenn du Marxist bist, wirst du im Kapitalismus die Ursache allen Übels erkennen. Wenn du Anarchist bist, denkst du an eine alternative Form der gesellschaftlichen Organisation. Finde einen Weg, um dein Anliegen in einem einfachen Satz als Theorie zu formulieren. Finde ein gemeinsames Ziel und definiere es. Was möchtest du mit deiner Revolution erreichen? Erfinde für deine Revolution einen Slogan, den deine Anhänger verwenden können. Möchtest du das Wohnen (Erfindung der Wohnung, der Wohnformen, der Typologien usw.) revolutionieren? Geht es um die impliziten Ökologie- und Machtstrukturen der Gesellschaft, die du radikal verändern möchtest? Wie steht es um die architektonischen Bedindungen tierischer oder suburbaner Lebensformen (Zoos, Tierreservate, Schlachthöfe, Friedhöfe oder Brachen als Rückzugsorte für Tiere)?
Bedarf
Wenn es keinen Mangel gibt, braucht es keine Revolution. Du kannst eine Revolution nur anzetteln, wenn du aussprichst, was derzeit falsch läuft. Dein Statement sollte sich auf Fakten stützen. Deshalb solltest du die Gegebenheiten vor Ort analysieren. Besorge dir Pläne der Stadt und ihrer Einrichtungen (Infrastrukturen, öffentliche Plätze, Knotenpunkte, Informationsnetzwerke, leerstehende Wohnungen, leerstehende Freiflächen usw.) Warum kann man Häuser und Gärten enteignen, um Autobahnen zu bauen, für das Wohnen aber nicht?
Ziele
Formuliere konkrete Ziele für deine Revolution. Was willst du genau verändern? Die Stadtverwaltung austauschen? Neue Gesetze erlassen? Oder möchtest du lediglich, dass die Menschen umdenken in einer bestimmten Sache? Stecke dir die Ziele so, dass sie auch realisierbar sind. Du wirst mit deiner Revolution nicht die Armut auf der Welt beseitigen, aber vielleicht kannst du vor Ort Menschen eine Wohnung beschaffen … Will man neue Formen des Wohnens / Arbeitens erreichen? Sollen nomadische Wohnformen die Permanenz des Wohnens ersetzen? Kann man damit das Wohnen als Lebensform erreichen?
Strategie
Die Revolution läuft in der Regel in einer sehr kurzen Zeit ab. Wichtig ist, die richtige Strategie für den Ablauf zu haben. Welche Orte in der Stadt sind wichtig (öffentliche Plätze, Knotenpunkte, Infrastrukturen usw.)? Handelt es sich um eine schleichende Revolution oder um einen Umsturz?
Hintergrund
In Zeiten der Krise akquirieren die Crash-Propheten ihre Kundschaft im Querdenker-Milieu, sie bauen dafür einen ganzen Kosmos aus Blogs und YouTube-Formaten auf oder möchte eine Revolution im TikTok-Style. Wer zur Revolution aufruft, will das große Feuerwerk. Jetzt geht‘s los! Endlich! Die Veränderung muss jetzt um jeden Preis kommen. Vieles scheint heute an das Ende seiner Möglichkeiten zu kommen, es braucht einen neuen Schub. Die Fundamentalkritik kommt aber nicht mehr nur von den linken und rechten Rändern der Gesellschaft, sondern auch aus ihrer Mitte. Selbst das Establishment fordert ein radikales Umdenken. Für andere ist der Aufruf zur Revolution eine befremdliche Parole, zu nahe an der Rhetorik des Klassenkampfes dran oder zu gefährlich für die eigene Existenz in der Konsumblase.
Der Schweizer Theatermacher Milo Rau rief vor kurzem in Wien die „Freie Republik“ aus und machte die Stadt zusammen mit Künstler:innen und Aktivist:innen zur Plattform für die Verhandlung einer postkapitalistischen Zukunft. Die Wiener Festwochen sollten zu einem Ereignis voller revolutionärer Energie werden. Für Milo Rau ist das Theater ein Ort der „Schubumkehr“, er will mit den Mitteln des Theaters den Kapitalismus hacken, in die Institutionen reingehen und sie umwandeln. In Wien war alles Theater, aber sehr politisch.
Milo Raus Slogan „Wien muss brennen“ erinnert an „Architektur muss brennen“!, das Coop Himmelb(l)au vor mehr als einem halben Jahrhundert in die Welt schrie. Architektur sollte immer politisch sein und Position beziehen. Architektur ist Einmischung und als solche eine Form des Aktivismus. Daran schließen wir an. Wir möchten ein strategisches Feld schaffen, in dem unterschiedliche Deutungsprojekte um die konkrete Lesart des Demokratischen ringen. Entscheidend für revolutionäre Architektur sind die gegenhegemonialen Momente.
Die Student:innen werden dazu aufgefordert, eine Bühne für die Veränderung der Welt zu entwerfen. Dieser „revolutionary ground“ kann überall sein, im Urwald oder mitten in der Millionenstadt, auf dem Boden oder in der Luft, im Großen wie im Kleinen. Gesucht werden angedachte, sich in Entwicklung befindende oder realisierte Aktionen, Ideen, Engagements, Projekte oder starke Statements, die einen Beitrag zu dem Thema «Architektur & Aktivismus» leisten. Im Fokus steht der Prozess, die Herangehensweise und die Art der Verhandlung mit den Mitteln der Architektur. Die Ergebnisse können temporäre Installationen, konkrete Projekte oder visionäre/künstlerische Arbeiten sein. Alles sollte auf einer fundierten Recherche und einer theoretischen Auseinandersetzung beruhen. Es geht also darum, neue Räume zu öffnen für Diskurse und Debatten, die wir in herausfordernden Zeiten dringend brauchen. Es geht um eine radikale Erweiterung des Diskurses. Wie setzt man emanzipatorische Praktiken mit den Mitteln der Architektur um? Wie verwandelt man die ganze Welt in einen Ort der Verhandlung?
Im Mittelpunkt der gegenhegemonialen Bildersteht das Thema „Wohnen“ (das Spektrum dafür reicht vom Bewohnen unseren Planeten, einer Stadt oder eines Hauses). Wir werden uns mit radikalen Projekten der Vergangenheit auseinandersetzen, aber auch Protestarchitekturen der Gegenwart ins Auge fassen.
Die Arbeiten der Studierenden sind Teil eines umfangreichen Projekts, das von verschiedenen Partnern mitgetragen wird (Euregio-Projekt Stadtarchiv Innsbruck, Land Tirol, Eck Museum of Art in Bruneck und Architekturstiftung Südtirol u.a.). Die Arbeiten sollen im Rahmen von zwei getrennten Ausstellungen und einer Installation im öffentlichen Raum (sofern es eine Genehmigung dafür gibt) der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Literatur
Anarchismus und Utopie
Elena Meilicke Postfordistische Verführungen. Harmony Korines Spring Breakers mit Tiqqun, 2014. URL: /online/postfordistische-verfuehrungen
Ilija Trojanow (Hg.): Anarchistische Welten. Edition Nautilus, Hamburg 2012.
Heinz Hug: Kropotkin zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 1989
Peter Kropotkin: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt. 1. Auflage. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2021
David Graeber: Piraten. Auf der Suche nach der wahren Freiheit, Stuttgart 2023(Orignial: David Graeber: »Pirate Enlightenment or The Real Libertalia: Buccaneers, Women Traders, and Mock Kingdoms in Eighteenth Century Madagascar«, New York 2023
David Graeber: The Utopia of Rules: On Technology, Stupidity, and the Secret Joys of Bureaucracy. Melville House, 2015
Andreas Malm: Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen, Berlin 2020.
Marc Augè: Die Zukunft der Erdbewohner, Berlin 2020.
Anna Lowenhaupt Tsing: Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus, Berlin 2020.
Sandra Meireis: Mikro-Utopien der Architektur. Das utopische Moment architektonischer Minimaltechniken, Bielefeld 2020
Milo Rau: Die Rückeroberung der Zukunft. Ein Essay, Rowohlt Verlag, Hamburg 2023
Thurn, Nike: Engagierte Form. Milo Raus Ästhetik des Reenactments. In: Peter Weiss Jahrbuch Bd. 27 (2018), S. 173–186.
William Morris: News from Nowhere. An Epoch of Rest, Being Some Chapters from a Utopian Romance. Serialization in the Commonweal, London 1890.
Richard Sennett: Die offene Stadt. Eine Ethik des Bauens und Bewohnens, Berlin 2018.
Why Theatre? – Golden Book V, Kaatje de Geest, Carmen Hornbostel, Milo Rau (Hrsg.), Verbrecher Verlag, Berlin 2020.
Architektur
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Karin Harrasser: Körper 2.0. Über die technische Erweiterbarkeit des Menschen, Bielefeld 2023.
Die Informationen zum Entwerfen werden im Laufe des Septembers aktualisiert.