THESE 18: Das Museum könnte ein Weckruf sein
András Szántó: Imagining the Future Museum. 21 Dialogues with Architects, Berlin 2022, S. 191-200.
Das Konzept »Museum als Ausstellung«
András Szántó spricht mit Bjarke Ingels von BIG / Bjarke Ingels Group, Kopenhagen, New York, London
Die Projekte von Bjarke Ingels werden oft von einer großen Idee angetrieben, die den Zweck des Gebäudes ausdrückt. So schaut das Musée Atelier Audemars Piguet, ein Uhrenmuseum, aus wie die Spiralfeder einer Uhr. Das Schifffahrtsmuseum integriert ein Trockendock ins Gebäude. Das LEGO House ist modular aufgebaut aus großen Legosteinen. The Twist, ein Kunstmuseum, ist selbst eine Skulptur. Diese Gebäude sind Symbole oder übergroße Exponate. Was bringt es, Museum und Ausstellung auf diese Weise zu verbinden?
Ingels meint, ein Architekt müsse nicht nur das Erscheinungsbild einer Institution oder des Programms einfangen, sondern auch die Persönlichkeit, das Zukunftspotenzial, die Seele eines Objekts. Bei The Twist - das mehr eine kunsthalle ist wie ein Kunstmuseum - wird das Gebäude zum Teil der Wegeführung. Der Besucher spaziert durch den Park und benutzt das Gebäude als Brücke, um zur anderen Seite eines Flussess zu gelangen. Das Gebäude selbst wechselt von der Horizontalen in die Vertikale in einer Art von twist, womit eine auffallende Form entsteht - eine Skupltur inmitten des Skulpturenparks.
Ingels verweist auf die Beziehung zwischen Form und Inhalt, der Hardware und der Software, dem Ausstellungraum und dem Ausgestellten selbst. Bei einem Großteil der expressiven Architektur, die im Gefolge des Guttenheims in Bilbao entstand, sei ihm zufolge der Ausdruck vom Inhalt losgelöst gewesen. Er stand fast im Widerspruch zu ihm. Das Guggenheim von Frank Lloyd Wright war vielleicht das erste Museum seiner Art, mit seiner starken und ausstellungsorientierten Logik der absteigenden Spirale. Dieses Museum wird als Ausstellungsraum gefeiert und verabscheut zugleich. Ingels sieht seine Architektur als eine Erweiterung davon. Man legt bestimmte Logiken fest, die sich rund um das Thema der Performance des Gebäudes als Ausstellung drehen, und dann verfolgt man dieses Experiment bis zum Äußersten. Im Falle des Uhrenmuseums sei es ihm gelungen, Form und Inhalt wie beim Bau einer Uhr soweit zu versöhnen, dass er sagen kann: Hier ist die Form der Inhalt.
Heute will man überall das Spektakel haben. Alle stecken in einem Kampf um die Aufmerksamkeit. Ingels meint, es sei wichtig zu unterscheiden zwischen Unterhaltung und Engagement. Unterhaltung beinhaltet ein Element des passiven Konsumierens, die Welt ist voll davon. Engagement ist im Gegensatz dazu die Ermutigung des Besuchers, ein aktiver Teilnehmer bei der Erkundung der Welt zu werden. Wenn es gelingt, eine Umgebung zu schaffen, die uns anspricht und in der wir ganz präsent sind, dann ist das ein Geschenk, das Architekten den Menschen machen können. Das ist vielleicht die Essenz dessen, was ein Museum erreichen kann. Ein Museum könnte ein Weckruf sein, der Menschen aus all diesen Zerstreuungen und Ablenkungen herausholt und in die Gegenwart führt. Ingels vergleicht das mit der Macht der Kunst, die unsere Wahrnehmung der Welt erweitert. Der architektonische Raum hiflt uns, diese Erfahrung zu machen - ganz präsent und ganz engagiert zu sein.
Mit dem 3D-Druck könnte anspruchsvolles und aufwändiges Design zur Massenware werden. Das könnte uns zu einer neuen Art Nouveau führen, Jugendstil oder zu einem Art Deco Revival, zu neo-barocken Museen voller Ornamente, die ironischerweise dematerialisierte digitale Kunst zeigen. Wir müssesn nicht unbedingt in einem neuen Barock enden, aber die neue Technologie sich nicht zu eigen zu machen, hieße, die Augen davor zu verschließen, wohin sich die Welt entwickelt. Das gilt auch für die Ökologie. Museen können als öffentliche Gebäude auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit aufmerksam machen, so dass die Besucher nicht nur durch die Kunst, sondern durch ein Gebäude, das neu und anders funktioniert, in die Gegenwart gezogen werden.
Wir sollten das Museum engagierter machen und inklusiver für ein größeres Publikum. Es bedeutet, dass wir die Museen strategisch verorten sollten, um die Nachbarschaft aufzuwerten. Museen können das. Wir sollten uns versichern, dass Museen Pioniere sind, Teil der Avantgarde - nicht nur der künstlerischen, sondern der sozialen. Museen können als Experimente, die ein kleines, pragmatisch umgesetztes Stück Utopie in die Tat umsetzen, eine enorme Wirkung haben. Diese Wirkung kann weit über die Dimensionen eines Gebäudes hinausgehen. Sie besteht in neuen Allianzen, auch für die Natur. Darin sieht Ingels die wahre Macht der Museen in Bezug auf ihre Wirkung in der Welt.