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ArchPhilo WS 2023-24 / Ein Laboratorium von Dingen, die darauf warten entdeckt und erkundet zu werden

THESE 8: Ein Laboratorium von Dingen, die darauf warten, entdeckt und erkundet zu werden

András Szántó: Imagining the Future Museum. 21 Dialogues with Architects, Berlin 2022, S. 245-253.

Das Konzept »Das Neue Alte«

András Szántó spricht mit Winy Maas von MVRDV.

In Rotterdam wurde vor kurzem das Depot des »Museums Boijmmans Van Beuningen« eröffnet, ein revolutionäres Nebengebäude, das als das erste öffentlich zugängliche Kunstlager der Welt bezeichnet wird. Das mit reflektierendem Glas verkleidete Depot, das hoch über dem Boden thront, bietet ungehinderten Zugang zu den Sammlungsobjekten und ermöglicht gleichzeitig Einblicke in die Konservierungs- und Forschungstätigkeiten des Museums. Der bauchige Innenraum des Depots mit seinen vierzehn Lagerabteilen und fünf Klimazonen ist nicht nur visuell beeindruckend. Es ist auch eine ernsthafte Herausforderung für den konventionellen Museumsbau. Das Depot überlässt die Verantwortung den Besuchern, die sich ihre eigenen Wege durch die Sammlung bahnen und die Objekte nach Belieben betrachten können. Es ist demokratischer als die Institution Museum, die wir bis dahin kannten, weil es die Wahl an den Besucher zurückgibt. Dieser neue Ansatz entspringt der Vorstellungskraft von Winy Maas und seinen Kollegen von MVRDV, einem Büro, das sich dem Bau »innovativer sozialer, grüner, realistischer und bemerkenswerter Architektur für eine sich verändernde Welt« verschrieben hat.

Als der Architekt und der Direktor des Museums das »Schaulager« von Herzog & De Meuron in Basel besuchten, entstand die Idee, konsequent das Lager im eigenen Museum so weit zu öffnen und öffentlich zu machen, dass die Besucher 90 Prozent von dem sehen können, was sonst im Verborgenen bleibt. Die Öffnung des Lagers für das Publikum gibt den Besuchern mehr Kompetenzen, sie löst das Problem des Lagerns von Kunstwerken stellt die kuratorische Praxis neben jene des Archivierens. Das Museum realisiert auf eine neue Weise ein Anliegen, das zentral für jedes Museum ist: Gastfreundschaft. Und es ist, anders als die meisten anderen Museen, nicht weiß, sondern grau.

Winy Maas erläutert den Umgang seines Büros mit der Tradition anhand eines Vorschlags für ein Gebäude für die Pinault-Sammlung, den sie »Kunstmixer« nannten: Ein Roboter baut ein Museum ständig um, indem er Licht, Farbe, Raumgrößen und -richtungen im Sekunden- oder Minutentakt wie beim »Zauberwürfel« ändert. Dieses Museum, »pushed« das Bestehende, es geht lustvoll und kreativ mit der Tradition um und schaut in die Zukunft. So entsteht ein Ort des Glücks und des Abenteuers, ein Museum, das Menschen sogar zum Lachen bringen kann.

Der herkömmlichen Standardisierung des Raumes eines Museums setzt Maas Größe, Überraschung, Interaktion, Wagnis entgegen und nennt das »(Bio-)Diversität«, weil das neue Museum Menschen, Tiere, Pflanzen, Architektur und Stadt mit einbezieht. Museen sollten in der Lage sein, das »größtmögliche Glück für seine Besucher« (Maas) zu ermöglichen und das kann es nur, wenn sich ihre Architekten den Kontext ansehen und den Menschen zuhören. Maas zitiert den Dichter Paul Èluard, der sagt: »Es gibt eine andere Welt und sie ist in dieser«. In diesem Statement steckt die Aufforderung, den Kontext zu »hacken«, um die »Welt größer zu machen«, also das zu machen, was Kunst immer schon tut. So kann man Projekte initiieren, mit denen das Alte neu werden kann. Sie fungieren als ein trojanisches Pferd im jeweiligen Kontext und suggerieren die Möglichkeit von etwas Anderem.

Auf die Frage, wie das Museum der Zukunft aussehe, antwortet Maas mit dem Hinweis, dass man bei jedem Museum eigentlich immer on der gleichen Frage ausgeht: Wollen wir dieses Objekt aufbewahren und schützen? Heute sammeln aber nicht nur Mussen, sondern jeder von uns, unsere Wohnungen sind voll mit Dingen. Brauchen wir einen anderen Lebensstil, um diesem Irrsinn des Sammelns zu entgehen. Wohin sollen wir das alles tun? Erst recht, wenn wir an das Erbe der Menschheit denken. Wie werden wir diese gigantische Sammlung einlagern? Die Zukunft der Institution Museum sieht Maas in zwei Aspekten: Ein Weg führt über Qualität und Inhalt, der andere über das Zeitgemäße. Was sind die Themen unserer Zeit? Was macht uns Sorge? Diesen Fragen muss sich ein Museum stellen, um Besucher anziehen zu können und neugierig zu machen.

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