THESE 17: Es ist eine Herausforderung, für ein bewegliches Ziel zu entwerfen
András Szántó: Imagining the Future Museum. 21 Dialogues with Architects, Berlin 2022, S. 181-190.
Das Konzept »Architekt als Künstler«
András Szántó spricht mit Elizabeth Diller von Diller Scofidio & Renfro (DS&R), New York
Diller Scofidio & Renfro haben sich mit Entwürfen von Gebäuden für die Kultur einen Namen gemacht. Dazu gehören das Institute of Contemporary Art in Boston, The Shed in New York, The Broad in Los Angeles, die Erweiterung des Museum of Modern Art und die Neukonzeption des Lincoln Centers, nur um einige zu nennen. DS+R sind mit einer einzigartigen Perspektive an diese Arbeiten herangetreten - die von Künstlern und nicht »nur« von Architekten. Ihre künstlerische Prägung erfuhr Elizabeth Diller im East Village, dessen kulturelles Klima von Figuren wie Gordon Matta-Clark, Vito Acconci, Trisha Brown, Steve Reich, Elizabeth LeCompte oder Philipp Glass geprägt wurde. Für die Architektin war der Einfluss von John Hejduk und Cedric Price prägend. Price ist der Architekt des Fun Palace, eine zentrale Referenz für The Shed. Diller nennt das Gebäude eine »Architektur der Infrastruktur«, weil die Struktur alles Grundsätzliche eines Museums enthält, zugleich improvisiert und adaptierbar ist. Und noch etwas verbindet Diller mit Cedric Price: Für Price waren Kunst und Unterhaltung untrennbar. Kunst ist ein Teil des Lebens, nichts Elitäres. Kunst bleibt auch immer etwas Unbekanntes. Es ist eine Herausforderung ein bewegliches Ziel zu entwerfen, sagt Diller. Wenn Museen relevant bleiben wollen, müssen sie sich Selbstkritik und Ironie zu eigen machen. Sie sollten einerseits einladend sein, andererseits aber auch unbequem, den Status quo in Frage stellen und Normen destabilisieren.
Diller spricht von ihrer Herangehensweise an die Projekte aus drei Perspektiven, jener der Architektin, der Kuratorin und aus der Perspektive des Aufbaus einer kulturellen Institution. Wie kann man für eine Zukunft bauen, die man noch nicht kennt? Wie kann ein Gebäude einer sich ständig veränderten künstlerischen Praxis nicht im Wege stehen? Für den Architekten ist es wichtig, dass er sich in der Gegenwart verortet, gleichzeitig aber bestehende Konventionen hinterfragt und dabei Fragen stellt, die der Auftraggeber möglicherweise noch nicht gestellt hat (bigger questions). Vom Standpunkt des Kurators aus sollte es das Gebäude erlaubten, Geschichten zu erzählen, die die Öffentlichkeit unterhalten und zugleich herausfordern. Der Künstler wiederum braucht einen Raum mit Charakter, was nicht unbedingt mit der Unterschrift eines Architekten zu tun haben muss. Als ein Gestalter von Institutionen möchte Diller, dass das Gebäude zu einem umfassenden Ziel der Öffentlichkeit beitragen kann, dass es im Dialog mit der Stadt und auch mit den lokalen und globalen Institutionen bleibt. Das Museum sollte abenteuerliches, neues Denken fördern.
Wie können Architekten Museen bauen, auf die wir auch noch in fünfzig Jahren nicht verzichten möchten? Um unverzichtbar zu sein, muss man das Museum nicht als Luxusgut sehen, sondern als eine gemeinsame Notwendigkeit. Es sollte alle Arten von Menschen einladen. Es könnte auch dezentralisiert sein, mit Satelliten, die über die ganze Stadt zerstreut sind. Es sollte kein isolierter Silo sein, sondern Teil einer kulturellen Infrastruktur, die wiederum verknüpft ist mit Erziehung und den nicht-visuellen Kunstformen - und zum Rathaus, denn das Museum braucht den Einfluss auf die Politik. Und es sollte eine große Bar haben, ein Ort sein, wo man etwas essen kann, trinken, rumhängen kann 24 Stunden am Tag. Es könnte verbunden sein mit anderen Teilen der Welt, ein kultureller Hub, vernetzt mit anderen internationalen Hubs, um einen Diskurs ins Leben zu rufen, der nicht von der Geografie begrenzt wird. Vielleicht sollte das Museum kein Ding sein, sondern ein System.
Das Blur Buidling, ein performativer Raum, der sich auf die atmosphärischen Bedingungen und das Wetter auf dem Neuenburger See verließ, um eine begehbare Wolke zu erzeugen, war das erste Projekt des Büros für ein Massenpublikum und der Punkt, wo die Architekten zu verstehen begannen, dass es unmöglich ist, die Narrative eines Projekts zu kontrollieren, dass es aber auch ein Zeichen eines großen Erfolges sein kann, wenn es gelingt, eine Interpretationsmaschine zu bauen, also etwas, was viele Lesarten erlaubt und viele Geschichten erzählt. Diller sagt: Sauerstoff ist wichtig für den Museumsbesuch! Ein Museum sollte eine Indoor-Outdoor-Einrichtung sein. Die meisten Museen haben keinen Außenbereich, oder, falls sie ihn haben, ist er nicht programmiert. Museen sollten nicht nur von Verboten leben, sondern Luft zum Atmen bieten. Auf der von DS+R konzipierten High Line in New York können die Besucher zwar nur gehen und stehen, aber für Städter, die immer produktiv sein müssen, ist das Gehen nur um des Gehens willen eine wichtige Erfahrung ...