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ArchPhilo WS 2023-24 / Subtilität muss nicht banal sein

THESE 14: Subtilität muss nicht banal sein

András Szántó: Imagining the Future Museum. 21 Dialogues with Architects, Berlin 2022, S. 85-95.

Das Konzept “Porosität”

András Szántó spricht mit Frida Escobedo, Mexico City

Frida Escobedo findet die Wurzeln ihrer Architektur im spezifischen Kontext ihrer Herkunft und beschreibt ihre Arbeit als ein »Schichten« und »Metabolisieren« von unterschiedlichen Materialien. Ihre Vorbilder findet sie in der lateinamerikanischen Architektur, zB. in Lina Bo Bardis MASP in San Paulo, das den öffentlichen Raum in Form einer Plaza beibehält und das Museum als Scheibe einfach teils darüber schweben lässt oder im Erdreich eingräbt. Ein besonderes Element dieser Tradition ist der gekonnte Umgang mit der Geschichte. So enthält das Nationalmuseum für Anthropologie in Mexico City alle Schichten der mexikanischen Geschichte und führt sie überzeugend in die Zukunft. Museen sollten der Architektin zufolge immer einen Wechsel des Maßstabs der Räume beinhalten. Beim Nationalmuseum gelangt man über enge Räume von der Straße in einen großzügigen Innenhof, der eine völlig andere Öffentlichkeit erzeugt als im Außenraum.

Escobedo spricht auch den Prozess der Individualisierung an, der von den Museen nicht einfach vernachlässigt werden kann. Sie erinnert uns daran, dass wir am Nachmittag eine andere Person sind wie am Vormittag und dasss wir uns von anderen unterscheiden müssen, um zu verstehen, wer wir als Individuum sind. Diesen Moment der Individualisierung ist für sie magisch. Die Herausforderung liegt darin, dass die Kunst oft im Auftrag bestimmter Leute zu bestimmten Zeitpunkten der Geschichte ausgestellt wurde um ganz bestimmte Ideen zu repräsentieren. Wie gelingt es uns zu akzeptieren, dass das gleiche Objekt auch unterschiedliche Bedeutungen haben kann und verschiedene Emotionen bei unterschiedlichen Personen auslöst?

Das führt zum Begriff der »Porosität«, einer From des »offenen Austauschs«. Porosität ist der Schwesterbriff von Transparenz. Während die Transparenz den vollständigen Zutritt erlaubt, arbeitet die Porosität als Gradient. Wer vor einer Ziegelwand steht oder einer Mauer, die mit Travertin verkleidet ist, wird auch in dieser Mauer Spalten oder kleine Öffnungen erkennen,.

Die Porosität ist also grundlegend. Sie erfordert eine doppelte Verantwortung: Eine des Museums, das permeabler sein sollte, aber auch eine des Betrachters, der beweglicher werden sollte. Wir sollten uns überlegen, wie wir uns verbinden können mit diesen doch eher furcheinflößenden Institutionen. Vielleicht können wir das auch auf eine sehr einfache Art und Weise tun. Ab dieser Stelle entsteht laut Escobedo der Unterschied zwischen Transparenz und Porosität. Porosität bedeutet nicht, dass man einfach eine völlig offene Plattform schafft. Sie erfordert mehr Anstrengung. Wenn man sich auf sie einlässt, werden die Beziehungen reicher und auch interssanter.

Ikonische Museumsbauten wie das Guggenheim-Bilbao sind alles anderes als porös. Es ist fast so, als würde dort die ganze Stadt ein Museum werden und das Museum wird zu einem Kunstwerk, zu einer Skulptur in der Stadt. Heißt das, dass man bescheidener werden muss? Escobedo will nicht von »Bescheidenheit« sprechen, sie spricht einfach vom Museum ohne große Geste - es gibt keinen großen Moment. Museen können eine großartige Materialität haben und gleichzeitig einen sehr menschlichen Maßstab. Subtilität muss nicht banal sein. Die Komplexität, von der sie spricht, hat mehr mit dem Fließen der Räume zu tun und mit visuellen Gesten. Museen wirken heute over-designed, weil oft die Gestalt des Gebäudes wichtiger ist als sein Inhalt. Museen sind aber nicht nur Container für die Kunst. Sie produzieren selbst einen kulturellen Inhalt - indem sie einen Diskurs schaffen, Narrative, Verbindungen mit Künstlern. Wenn die Gestalt eines Raumes zu stark ist, gibt es wenig Raum für diese Vermittlungsarbeit. Das Museum sollte ein Moderator sein. Als Beispiel für ein gelungenes Museum erwähnt die Architektin das Museo Anahuacalli, das von Diego Rivera gebaut und mit vulkanischem Gestein eingedeckt wurde. Vor kurzem wurde dort ein Flügel angebaut, der ein Archiv beinhaltet, ein Lager, Medialabs und einen Raum für Ballett und Theater. Herausgekommen ist ein kulturelles Zentrum in einer Lavalandschaft. Dieses Museum ist erfolgreich, weil es zeigt, wie Museen einen eigenen Inhalt kreieren können durch den Bezug zur Landschaft oder zur Stadt und wie sie sich entwickeln können jenseits reiner Ausstellungsräume.

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