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ArchPhilo WS 2023-24 / Museen sind der Ausgangspunkt einer Reise

THESE 5: MUSEEN SIND DER AUSGANGSPUNKT EINER REISE

András Szántó: Imagining the Future Museum. 21 Dialogues with Architects, Berlin 2022, S. S. 201-210.

Das Konzept “Surrealität”

András Szántó spricht mit Ma Yansong von MAD Architects über die Vielzahl an neuen Museen, die gerade in China gebaut werden. In ihrem Manifest mit dem Titel Shanshui City sprechen sich die Architekten für eine Architektur aus, die sich in den Dienst der Natur und der Menschen stellt und nicht des Kapitals und der Macht. Was bedeutet das für ein Land wie China? Dort erleben wir seit Jahren einen Bauboom, der sich im Massenwohnbau und neuen Geschäftszentren niederschlägt. Ma Yaonsong verweist aber auch darauf, dass es immer mehr Städte gibt, die sich ein neues Opernhaus oder eine Musikhalle wünschen, obwohl die Verantwortlichen kaum eine Vorstellung davon haben, wie die schönen Hüllen mit Inhalt gefüllt werden könnten.

Der Architekt erinnert sich an seine Kindheit im alten Peking und erzählt von den Besonderheiten dieser Stadt, in der nicht nur die Nützlichkeit im Vordergrund stand, sondern kulturelle Räume eingerichtet waren, um den Menschen Schönheit und Räume der Freiheit zu schenken. Ausgehend von dieser historischen Referenz denkt er über das Museum als einen Ort nach, an dem die Menschen vor der Realität flüchten können. Das Museum hilft den Menschen, ihre spirituelle Bestimmung zu finden. Solche Räume müssen nicht spektakulär sein, weil sich auch kleine Museen dafür eignen, etwas Besonderem einen Raum zu geben. Das Gebäude sollte zur Kunst, zum Inhalt, aber auch zur Stadt und zur Geschichte um sich herum sprechen. Es erfüllt die gleiche Aufgabe wie die Kunst, nämlich inspirierend zu sein.und ermöglicht es den Menschen, ihren Fantasien zu folgen. Architektur und Kunst haben viele Gemeinsamkeiten, wichtig für die Architektur ist, dass sie die Menschen emotional auffängt, denn Gefühl ist für ihn die »ultimative Bestimmung der Architektur«. Die Architektur hat ihre ganz eigene Sprache, um Menschen auf eine Reise vorzubereiten, die bei allen Besuchern des Museums den gleichen Ausgangspunkt hat, aber dennoch für jeden in einen anderer Richtung führt.

Die Museumsarchitektur ist surreal. Nicht deshalb, weil es spektakulär ist, sondern weil es eine spirituelle Welt öffnet und damit über die bestehende Realität hinausführt. Wir erleben derzeit nicht zufällig ein Revival des Surrealismus. Der Titel der Ausstellung der Biennale von Venedig 2022 - Die Milch der Träume - stammt von einem surrealistischen Werk von Leonora Carrington. Ma Yansong kommentiert das damit, dass die Welt selbst surreal geworden sei. Wichtiger ist für ihn, dass Surrealität jedem helfen kann, den Wert der Fantasie zu schätzen. Sie kann Menschen inspirieren und sie frei machen. Zumindest kann sie Menschen fühlen lassen, dass sie sich selbst befreien können. Gute Architektur sollte immer Möglichkeitsräume und Alternativen zum Bestehenden schaffen.

So kann das Museum auch eine Alternative sein zur Architektur, die sich zu sehr der grünen Techologie opfert und damit ein Produkt wird, das »nachhaltig« oder »grün« ist, im Kern aber ökonomisch bleibt. Diese Architektur muss sich ständig neu erfinden, weil sie sehr schnell überholt ist. Was man von der traditionellen Architektur lernen kann, ist hingegen eine Nähe zur Natur, die eine spirituelle Qualität hat und eine Transformation des Menschen bewirken kann. Deshalb ist die Museumsarchitektur nicht weit weg von der Natur, weil sie die Menschen - wie die Natur - in eine andere Welt führt und etwas Größeres spüren lässt.

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