THESE 4: AFRIKA IST DAS NEUE MUSEUM
András Szántó: Imagining the Future Museum. 21 Dialogues with Architects, Berlin 2022, S. 233-242.
Das Konzept “Stadt und Klima”
András Szántó spricht mit Kunlè Adeyemi, dem Gründer von NLÈ. Im Gespräch geht er auf die spezifische Situation ein, auf die Architekten in Afrika treffen, einem sich sehr dynamisch entwickelnden Kontinent. Was haben die Entwicklungen dort mit unserer Idee eines Museums zu tun? Zwar unterscheidet sich der Globale Süden in wesentlichen Aspekten vom Norden, die Unterschiede sieht Adeyemi aber nicht als Nachteil. Ganz im Gegenteil, er findet in Afrika “humane Infrastrukturen”, die das Fehlen von physischen Ressourcen kompensieren. Ein gutes Museum muss ihm zufolge in der Lage sein, die Gemeinschaft zu stärken. Es ist dazu in der Lage, wenn es ihm gelingt, die “kollektive Intelligenz” der Menschen in Gang zu setzen und vielfältige menschliche Interaktionen zu ermöglichen. Die westliche Vorstellung eines Museums ist sehr eng an ein bestimmtes räumliches Konstrukt gebunden. Für die Architekten ist es schwierig, diese Bindung aufzulösen. Ein gelungenes Museum muss eine Kraft des Raumes ausstrahlen. Das gelingt nicht nur - wie im Fall des berühmten Guggenheim-Museums in Bilbao - wenn man das Museum selbst zum Kunstwerk macht, sondern, wenn man das Projekt in die natürliche Landschaft setzt, die schon immer diese Kraft besitzt. Museen tun gut daran, Räume zur Verfügung zu stellen, die jenseits des reinen Spektakels liegen. Wie gelingt es uns, ein Museum zu entwerfen, das losgelöst ist von den uns vertrauten Erfahrungen und Vorstellungen?
Adeyemi findet ein Beispiel dafür in Lagos, in der Gemeinschaft der Makoko, die Tausende von Fachwerkbauten auf Stelzen im Wasser errichtet hat. Die Bauten dieser Menschen sind auch ein Modell für das Museum der Zukunft. Sie gründen sich auf einem Konstruktionssytem, das schnell errichtet werden kann, ökonomisch und handgemacht ist. Die Bauten sind ein lebendiges Museum, man kann von den Menschen vor Ort lernen. Zudem sind diese Struktur auf dem Wasser errichtet, womit die Bodenfrage irrelevant wird und eine Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels gegeben wird. Architektur ist ein tool, um die komplexen urbanen Dynamiken zu orchestrieren. Das Museum der Zukunft darf an keinem festen Konzept hängen, vielmehr soll es offen gefasst und damit flexibel gemacht werden. Diese Flexibilität erlaubt es, auf die großen Herausforderungen von Urbanisierung und Klimawandel reagieren zu können. Adeyemis berühmte “Schwimmende Schule” in Lagos ist aber nur ein Beispiel dafür. Prinzipiell geht es Adeyemi zufolge darum, die Narrativ des Bauens, also auch jene des Museums zu erweitern. Die Voraussetzung dafür finden wir in den unterschiedlichsten Umgebungen weltweit, die all jene Voraussetzungen bereit halten, die wir brauchen, um neue Geschichten zu erzählen. Welche Geschichten können wir von Afrika hören?
Was den Architekten an Afrika fasziniert, sind das Informelle, Spontane und die ständigen Improvisation der Menschen in ihrem Alltag, die das Museum zu einer Einrichtung machen könnte, die im Leben der Menschen verankert ist. Das alles macht Afrika zu einem Labor für das Museum der Zukunft. Afrika ist das neue Museum. Dort findet man Adeyemi zufolge all das, was man in den westlichen Museen sucht, auf der Straße. Vielleicht bietet Afrika auch eine Möglichkeit, um unsere Museen generell neu zu denken, nicht nur als physische Räume, sondern auch als kulturelle Institutionen. Vielleicht ist ja gerade der Shift vom Globalen Norden nach Afrika eine gute Gelegenheit dafür, weil sich das Museum damit von einer langen Tradition loslöst und sich öffnet in Richtung einer vielversprechenden Zukunft …