THESE 2: DAS LEBEN AUF DEM LAND IST SELBST EIN MUSEUM
Aus: András Szántó: Imagining the Future Museum. 21 Dialogues with Architects, Berlin 2022.
S. 222 -232.
Das Konzept “Ländliches Museum”
András Szántó spricht mit der chinesischen Architektin Xu Tiantian, die mit ihrem Büro DnA Architecture in der Region Songyang, im ländlichen Raum von China, über 20 Projekte umgesetzt hat. Wenn man über Chinas Architektur spricht, dann kommen einem meist gigantische Projekte in den Metropolen in den Kopf. Nicht so bei den Projekten von DnA. Die Mitarbeitert des Büros sehen ihre Interventionen als »architektonische Akupunkturen«, als kleine Nadelstiche also, die bescheiden sind, aber durchaus in der Lage, den chinesischen Dörfern eine Zukunft zu schenken. Diese Interventionen sind ein Beispiel dafür, dass es auch in China Diskussionen gibt um langsamere und nachhaltige Entwicklungen. Das Interesse für den ländlichen Raum ist in China groß, nachdem es Wellen der Landflucht gegeben hat. In den Dörfern blieben meist die Alten zurück, die sich oft um die Enkelkinder kümmern mussten. In China war vom »village hollowing« die Rede, von der Aushöhlung der Dorfgemeinschaften. Heute erinner sich viele wieder an ihre eigene Herkunft, das Land ist emotional besetzt und seine Traditionen werden wieder als Wert anerkannt. Dort findet man eine Identität, die in den generischen städtischen Räumen verloren gegangen zu sein scheint, denn auch hier findet Xu Tiantian noch dörfliche Traditionen. Sie wollte keine glitzernden Gebäude. An die Stelle ikonischer Gebäude setzt das Team von DnA Architecture »ruhige« Interventionen, die sensibel auf die örtlichen Verhältnisse eingehen. Man verfolgte eine Strategie der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit, indem man eine Vielzahl kleiner und kleinster Projekte umsetzte, die in engem Austausch mit den jeweiligen Dorfgemeinschaften entwickelt wurden. Das sind zB. renovierte Altbauten, Fabriken, Treffpunkte und eine Handvoll kleinerer Museen.
Zu diesen bescheidenen und eher unauffälligen Projekten gehört auch eines im Dorf Caizhai, das die Architektin als »Museum« bezeichnet, obwohl es sich um eine »Tofu-Fabrik« handelt, die scheinbar gar nichts mit unserer Vorstellung von einem Museum zu tun hat. Die Fabrik verteilt sich auf mehrere kleine Holzhäuser, die sich wie eine Kette entlang einer kleinen Straße den Berghang hianufziehen. Die kleinteilige Struktur passt sich an die Gegebenheiten des Ortes an. Die Fabrik ist der Ort, an dem die Dorfbewohner ihrer traditionellen Arbeit nachgehen, die wieder neu belebt wurde und auch hygienischer ist als früher. Von der Straße aus können Touristen den Arbeitsablauf durch Fenster verfolgen. Am unteren Ende der Fabrik liegt ein Raum, in dem man die Produkte probieren und kaufen kann.
Mit der »Tofu-Fabrik« widerlegt Xu Tiantian die herkömmliche Definitionen des Museums als einer Institution zur Wahrung des kulturellen Erbes. Das Team von DnA Architecture macht aus dem Museum das genaue Gegenteil, kurz gefasst: Das ländliche Leben ist selbst das Museum! Die typologische Unterscheidung zwischen Museum und Fabrik ist dabei nicht mehr wichtig, es geht um das Ganze der Dorfgemeinschaft. Die Architekten konservieren nicht das, was sie vorfinden, vielmehr möchten sie das ländliche Leben in seiner Vitalität erhalten und fördern, indem sie ihm auch die Möglichkeiten zur Weiterentwicklung einräumen. Bei vielen Museumsprojekten weltweit geht es Xu Tiantian zufolge um die Hardware - die Architektur - nicht um die Software, den Inhalt. Bei den ländlichen Museen der Architektin steht hingegen der Inhalt im Vordergrund. Es geht um das Dorf selbst, das Leben dort, die ganze Gemeinschaft, wird zu einem alternativen Museum. Architektur muss in diesem Kontext nicht groß oder eindrucksvoll sein. Xu Tiantian spricht von minimalen Interventionen.
Ihr Team lernt von den Menschen in den Dörfern, besucht sie, spricht mit ihnen und benutzt die bestehende Infrastruktur. Das Ziel ist das »Lebens-Museum« (life-museum), das viel lebendiger ist als jene Modelle, die wir in der Regel verfolgen, wenn wir von einem Museum sprechen. Das ländliche Museum ist tief verwurzelt. Trotz des meist geringen Budgets reicht es, um die Dorfbewohner zu animieren, sich auf dem Land einzurichten. Dieses Museum hat einen enormen sozialen Einfluss und ein großes Potenzial.
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