Zum Inhalt springen

MA Neuverhandlung des Planeten

Wenn es darum geht, sich um den Planeten zu kümmern, delegieren wir das in der Regel an andere. Sophia Niederkofler geht einen mutigeren Schritt und widmet sich dem Werk des italienischen Designers Ettore Sottsass. Mit seinem “Il pianeta come festival” (1972) kehrte er den Techno-Utopien der späten 60er Jahre den Rücken zu und wandte sich dem Design im planetarischen Maßstab zu. Diese neue Perspektive verdankt sich der Raumfahrt, die den Blick auf die Erde als Ganzes ermöglichte und damit auch die Zerbrechlichkeit des Blauen Planeten zeigte. Design war für Sottsass eine Tätigkeit, die ausgreift auf die Gestaltung des eigenen Lebens und der ganzen Welt. Der “Pianeta” von Sottsass ist eben nicht nur eine riesige Partyzone, die sich über den Erdball erstreckt, sondern eine gesellschaftliche Idee. Er ist ein Konstrukt im Abseits der Stadt, wo der Mensch am unmittelbarsten lernen kann, seine neu gewonnene Freiheit zu leben. Im Vordergrund stand dabei der Entwurf von Freiheitsspielräumen und Entfaltungsmöglichkeiten für Menschen, die gerade den Schritt von der Arbeits- zur Freizeitgesellschaft machten. Vieles ist mit einem Appeal von Freiheit und Glück aufgeladen. Alles hat mit Spaß und Spiel zu tun. Vieles bei Sottsass klingt tatsächlich nicht nach strengem Design, sondern nach guter Laune. Er ersetzt die Stadt mit einem Dschungel mit sonderbaren Gebäuden, die Teil einer großen Spielwiese sind.

Seit damals hat die Debatte rund um Menschen, Arbeit, Freizeit und Natur sehr unterschiedliche, zum Teil einander widersprechende Geschichten hervorgebracht, in denen verschiedenartige Interessen und Werthaltungen artikuliert werden und die deshalb von erheblicher politischer Relevanz sind. Wir haben eine Spur der ökologischen und psychosozialen Zerstörung gelegt und die globale Ungerechtigkeit verstärkt, an der die zukünftigen Generationen sich werden abarbeiten müssen. Gleichzeitig stellt sich mit KI, Bioengineering und Nonocomputing die Frage nach dem „neuen Menschen“ in einer ganz anderen Weise, wie es sich Sottsass hatte erträumen können. Wir sehen heute im großen und planetaren Maßstab eine anthropogene, vom Menschen kulturell und technisch überformte Natur, die in der Krise ist.

Sobald man den Blickwinkel der eigenen Disziplin vergrößert, stellt man fest, dass keiner der Orte, auf die man blickt, vom Menschen unabhängig existiert. Das ist ziemlich erstaunlich, denn bislang ging man häufig von der Vorstellung aus, dass man sich einen ungestörten Ort suchen kann, den man in Ruhe gestalten kann. Manchmal heißt es, Designer seien zu anmaßend, wenn sie glauben, wir könnten den Planeten gestalten. Aber wenn wir diese Rolle nicht übernehmen, haben wir es nur mit einem Beruf zu tun, der sich mit der Sanierung befasst. Der Mensch verändert die Dinge absichtlich, aber die Hälfte der Zeit erreichen wir nicht das, was wir beabsichtigen. Es gibt immer unbeabsichtigte Folgen. Wir müssen also alles, was passiert oder passieren könnte, wenn wir etwas verändern, umfassender betrachten. Design kann so viel weiter gehen als das. Mit Design versucht man, Dinge zu visualisieren, die es nicht gibt. Man fragt sich: Was können wir tun, das besser ist als das, was wir bereits tun? Das ist ein visionärer Schritt, der über die bloße Lösung eines bestimmten Problems hinausgeht. Wir können uns die Umgebung selbst als eine offene Prototyping-Plattform oder ein Labor vorstellen. Wir stoßen sie an, schieben sie in bestimmte Richtungen und fügen mehr Komplexität hinzu, während wir mit der Entwicklung dieser Experimente beginnen. Das ist es, was wir von Sottsass lernen können. Sein “Pianeta” ist völlig utopisch und doch öffnet er Denkräume und bringt Menschen zusammen. Die Welt kann verändert werden, wenn man auf Ideen setzt, die auf den ersten Blick völlig schräg erscheinen. Wir sollten Sottsass folgen mit seiner Forderung, „Design“ und „Gestaltung“ stets radikal neu denken zu müssen …