Prüfung:
T1, T3, T7, T10, T11, KI
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Ort: Großer Hörsaal (GH)
Zeit: 14.15-15.45
Unterlagen: Alle Skripten im Überblick
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Termine und Themen:
T1 03.10.2023
Grundlagen der Cultural Studies
Individualisierung, Globalisierung und Medialisierung
Die Cultural Studies interessieren sich für Phänomene, die im Alltag der ‘Leute’ entstehen bzw. die als ‘populäre Texte’ angeeignet werden. Dabei geht es ihnen um die Aufhebung des Unterschieds von ‘Hochkultur’ und ‘Alltagskultur’, Banales und Kitsch werden wichtig. Im Flokus stehen meist Gegenständen des Alltags (zB. Tennisschläger, Mode, Smartphone usw.), von denen aus der Kontext aufgerissen wird. Architektur ist eine kulturelle Disziplin, dh. ein Feld, in dem Machtverhältnisse verhandelt und Identitäten erzeugt werden. Die Cultural Studies tun das nicht, indem sie Trivialitäten vermitteln, sondern sie orientieren sich an den neuesten Theorien. Wer sich mit ihnen auseinandersetzt, lernt die Argumente aus den Bereichen Soziologie, Medienkunde, Politischer Theorie, Ästhetik, Ethik, Naturphilosophie usw. kennen. Die VL entwickelt die Bedeutung der Architektur anhand von Beispielen aus der alltäglichen Erfahrung von Menschen. Im zweiten Teil geht die VL auf die Mainstream-Phänomene von Individualisierung, Globalisierung (Amerikanisierung) und Medialisierung ein.
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T2 10.10.2023
Landschaft und Freeriding
Interview mit Hanno Mackowitz
Peter Volgger spricht mit dem Filmemacher Hanno Mackowitz über das Phänomen des Freeridings und beleuchtet es im Kontext von Medien und Landschaft. Globalisierung, Medialisierung und Individualisierung haben dazu geführt, dass sich nicht nur unser Freizeitverhalten geändert hat, sondern auch die Art und Weise, wie wir Landschaft nutzen. Diese wird diffus, dynamisch und risikoreich. Im Freeriding findet – soziologisch gesehen – die „Gesellschaft der Singularitäten“ (Reckwitz) ihren Ausdruck, in der jeder Einzelne einzigartig und unverwechselbar sein möchte und entsprechend seine „Spuren im Schnee“ setzt. Mackowitz findet eine ganz eigene Ästhetik, um die Themen Körper, Raum und Landschaft, die auch zum Architekturdiskurs gehören, filmisch umzusetzen. In seinem neuesten Film „Struktur“ tauchen zudem die Infrastrukturen des Tourismus auf. Infrastruktur-Räume sind heute dezentral, flexibel organisiert und reichen weit in die Landschaft. Wie können wir die neuen Räume und Territorien interpretieren?
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T3 17.10.2023
Pradas neue Kleider
Architektur, Sprache und Mode
Im 20. Jahrhundert rückt die Sprache in den Mittelpunkt der Betrachtung ( linguistic turn’). Die VL führt in die Semiotik von Ferdinand Saussure ein und skizziert den Siegeszug der ‘Lehre von den Zeichen’ in der zweiten Hälfte des 20. Jhrts. (Barthes, Baudrillard, Virilio, Derrida) und zeigt, welche zentralen philosophischen Positionen daraus entstehen. Auf dieser Grundlage könnten Kulturphänomenen unterschiedlichster Art (Literatur, Mode, Architektur ...) gedeutet werden. Die VL bleibt nicht bei der Therie stehen, sondern entwickelt den Diskurs in den Bereichen Mode, Gesellschaft und Architektur. Gerade die Zusammenarbeit von Miuccia Prada mit Rem Koolhaas liefert ein interessantes Beispiel dafür. Die VL beleuchtet das Phänomen “Prada”, das “mythmaking”, “placemaking” und die “brandscapes” des Konzerns und geht auf die Auseinandersetzung der Künstler mit Prada ein. Ein wichtiger Teil der VL ist die Auseinandersetzung mit der postmodernen Architektur, die in einem engen Zusammenhang mit der Semiotik steht (Jencks) und das Phänomen der ‘signature architecture’ in unserer Gegenwart. Abschließend geht es noch um das Phänomen der “mashup-culture” und die Gesellschaft als Simulakrum (Baudrillard).
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T4 24.10.2023
Berg, Mensch, Architektur
Interview mit Reinhold Messner
Reinhold Messer ist eine Legende: Er war Extrembergsteiger (heuer jährt sich zum 50. Mal das Nanga Parbat- Abenteuer, zum 40. Mal Mount Everest), hat alle 14 Achttausender bezwungen, ist Grenzgänger und Querdenker, Durchquerer der Sand- und Salzwüsten dieser Erde, er war Politiker, Initiator der Messner Mountain Museen, ist Schriftsteller und Bergbauer. Peter Volgger spricht mit dem König der Bergsteiger über das wohl wichtigste Thema, das alle diese Abenteuer vereint: Mensch und Berg. Das Team vom Studio 1 besucht die Bergsteigerlegende an seinem Wohnsitz auf Schloss Juval, das zu den Messner Mountain Museen gehört und dem Thema „Mythen“ gewidmet ist. Von ihr aus entsteht ein spannungsvoller Bogen zum „MMM Corones“, das von Zaha Hadid entworfen wurde. Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen dem Extrembergsteiger und einem Architekten? Wie sieht Reinhold Messner die Zukunft des alpinen Raums? Wie verändert sich das Verhältnis von Mensch und Berg unter den Voraussetzungen von Globalisierung und Medialisierung? Welchen Herausforderungen müssen wir uns in Zukunft stellen?
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Ergänzende Lektüre
T5 31.10.2023
Where the Wild Things Are
Architektur und Natur
Natur wird es nicht mehr unabhängig von Menschen geben. Die Welt, die wir bewohnen werden, ist eine, die wir gemacht haben. Geologen nennen diese neue planetarische Epoche deshalb auch die ‘Anthroposzene’, die Epoche des Menschen. Der Mensch handelt heute im geologischen Maßstab. Die geologischen Strata, die er produziert, sind Spuren der Industrialisierung, Klimawandel und die Ausrottung von Arten, für die er verantwortlich ist. Es geht darum, gegen die Ent-politisierung des Ökologischen eine politische Haltung in der ‘post-natürliche’ Welt (‘post-nature’) zu entwickeln. In der VL werden Positionen von Žižek und Morton („ecology without nature“) vorgestellt. Die Vorlesung lädt ein zu einer Erkundungsreise an verschiedenen Orten unserer Erde und zur Diskussion von Architekturpropjekten, um die Frage nach dem Verbleib des ‘Wilden’ in unserer Kultur zu stellen. Natur ist nicht “natürlich”: was man darunter versteht, ist immer Ausdruck kultureller und sozialer Praxis. In den Cultural Studies geht es auch um die Frage nach der Macht von Institutionen, die unsere Konstruktion und Repräsentation von ‘Natur’ bestimmen.
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T6 07.11.2023
Zu Hause bei James Bond
Architektur, Film und Berg
Wer mit der Seilbahn auf den Gaislachkogl in Sölden fährt, steigt in einer hybriden Welt aus. Hier verschmelzen Ort, Event und Marke nach der Logik der Image-Konstruktion. Die Konstruktion von Erlebnissen ist ein Paradigma unserer Zeit. Außergewöhnlich sollen nicht mehr nur die Berge sein, sondern auch die Architektur auf ihnen. Die „Flagship-Projekte“ der Architekten stehen wie gebaute Schlagzeilen auf den Bergen. Nicht nur Stararchitekten wie Herzog & de Meuron, die gerade auf dem Titlis-Gletscher bauen, schwärmen von kristallinen Strukturen beim Entwurf ihrer Bergstationen. Das Credo lautet: Die Berge sind schön - und wenn sie noch besser erreichbar werden, dann kann ihre Schönheit zum Massenkonsum animieren. Die Attraktionen auf der Bergspitze sind die Herzschrittmacher eines Zeitgeists, der auf das „Premium-Erlebnis“ abzielt. Holt man sich eine Weltmarke und verpackt man sie in einer spektakulären Hülle, so lässt sich mühelos an der Spirale der Attraktionen drehen. Das Team von Gestaltung 1 spricht mit dem Architekten Johann Obermoser über Architektur und die neuen „Kristallpaläste“ auf den 3000ern. Sölden war Drehort des James Bond Blockbuster SPECTRE. Der Gaislachkogel ist aber nur eine Location neben vielen anderen auf der „Tirol Movie Map“. Mittlerweile hat Cine Tirol über 1000 Filmproduktionen nach Tirol geführt und „James Bond 007-SPECTRE“ ist nur eines der filmischen Highlights, die in Tirol entstanden sind.
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T7 14.11.2023
The Sleeping Beauty
Architektur und Postkolonialismus
Eritrea ist eines der ärmsten Länder der Welt. Doch seine Hauptstadt Asmara besitzt ein phänomenales Architektur-Ensemble der europäischen klassischen Moderne: rund 400 Bauten wurden zwischen 1925 und 1941 errichtet, rund ein Dutzend davon sind von außerordentlicher Qualität. Dabei sollte man allerdings auch nicht die Schattenseite vergessen, denn die Hauptstadt Eritreas wurde von den italienischen Faschisten als Sprungbrett für die militärische Invasion in Äthiopien (Abessinienkrieg) ausgebaut. 2017 wurde Asmara zum UNESCO-Weltkulturerbe, weil man dort nicht nur Architektur von hoher Qualität findet, sondern die Gebäude auch von der einheimischen Bevölkerung angeeignet worden sind. So ist ein erstaunlicher Mix entstanden zwischen der Kultur der Einheimischen und jener, die sie von ihren Kolonialherren geerbt haben. Die Eritreer identifizieren sich mit "Bella Asmara", sie trinken Cappuccino, machen ihre "passeggiata" und verfolgen italienischen Fußball. Die ältere Generation spricht noch Italienisch. In den Cultural Studies geht es um die kulturelle Produktion von Bedeutungen. Insofern bietet sich das architektonische Erbe von Asmara an, um dieses Phänomen aufzuspannen im ‘magischen Dreieck’ der CS von Kultur, Macht und Identität. Verschiedene Akteure erzeugen dort unterschiedliche Auffassungen und Bilder von Asmara aus unterschiedlichen ideologischen Perspektiven heraus und erzeugen damit gleichzeitig differierende Identitäten. In der Vorlesung geht es daher um die Frage: Was ist eigentlich Asmara? Was ist die Identität dieser Stadt?
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Ergänzende Lektüre
T8 21.11.2023
Über Bock und Stein
Architektur und Tier
Diesmal führt uns die Reise ins Pitztal, wo 2020 das „Tiroler Steinbockzentrum“ - eigentlich müsste es heißen: „Steingeißzentrum“ - eröffnet wurde. Das Zentrum soll als Tourimusmagnet und Drehscheibe für grenzüberschreitende Forschung zum Thema Steinwildmanagement mit Partnern aus Südtirol und dem Engadin fungieren. Auch die Tiroler Landesmuseen und der Alpenzoo Innsbruck sind mit dabei. Das neue Steinbockzentrum ist ein Ort, wo sich Kultur und Natur, Tourismus und Nachhaltigkeit begegnen. Die Architektin Daniela Kröss führt uns ein in das architektonische Konzept, das sie zusammen mit ihrem Partner Rainer Köberl erarbeitet hat. Das von beiden so genannte „Haus am Schrofen“ ist Eintrittstor in die „ausgezeichnete Landschaft“ des Naturparks und nimmt eine wichtige Position in der Debatte über alternative Tourismuskonzepte ein. Auf unserer Expedition zum „König der Alpen“ führt uns Ernst Partl, der Geschäftsführer des „Naturparks Kaunergrat“, in die Philosophie des Naturparks ein und erklärt uns, was mit der „Inwertsetzung einer Region“ gemeint ist. Das Steinbockzentrum ist nämlich in ein ganzheitliches Konzept eingebettet, das Ökologie, lokale Ökonomie und soziokulturelle Entwicklung nachhaltig miteinander verzahnt. Am Ende unserer Reise begleitet uns der Steinbock nach Innsbruck, wo uns die Philosophin Michaela Bstieler im Steinbockgehege des Alpenzoos mehr über die prekäre Koexistenz von Mensch und Tier verrät. Der Naturfilmer Patrick Centurioni porträtiert in seinem Film „Wildes Innsbruck“ den Steinbock als einen Lebenskünstler an Orten, wo Stadt und Wildnis auf eine unerwartete Weise aufeinanderstoßen. Mit unserem Beitrag lassen wir jedenfalls die Hörner der Steinböcke ordentlich aufeinander krachen, dass es einem schon vom Zuschauen wehtut. Wie können Architekt*innen zu einer sensiblen Begegnung des Menschen mit seiner natürlichen Umgebung beitragen? Welche neuen Ansätze gibt es, um „Koexistenz“ bzw. „Cohabitation“ zwischen Mensch und Tier zu ermöglichen?
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T9 28.11.2023 T9
Vu’ cumprà - Die Bewohner der transurbanen Archipele
Architektur und Migration
Kleine ethnische Gruppen, die sich weltweit bewegen, können als Seismographen herangezogen werden, um eine Momentaufnahme globaler Prozesse und deren Einfluss auf einen konkreten Ort sichtbar zu machen. Ein Beispiel dafür sind die Muriden in Bozen, Migranten aus dem Senegal, die einer religiösen Bruderschaft angehören. Die Einsicht in ihre Praktiken erweitert unser Verständnis für die vielschichtigen und spannungsreichen Erscheinungsformen von ‚Gegenwelten’ als Folge der globalen Migration. Ihre Per-formativität lässt sich nicht einfach mit dem ‚Integrationsimperativ’ beschreiben, sondern produziert eine Vielzahl kleinster Nischen für kulturelle Verhandlungen und eine Plattform für experimentelle Urbanität, die sich intuitiv mit Veränderungen arrangiert und zu einer Parallelexistenz von Nutzungsansprüchen und kulturellen Praktiken führt. Die Muriden sind ein idealtypisches Beispiel für sogenannte ‚Transmigranten’, das sind hochmobile Gruppen von Personen, die über nationale Grenzen hinweg Beziehungen zum Herkunftsland pflegen und vielschichtige, hybride und dynamische Netzwerke zwischen dem Herkunfts- und dem Ankunftsland etablieren. Diese Menschen führen uns eine vermeintliche ‚Gegenwelt’ vor Augen, die aus dem Aufeinanderprallen von Ferne und Nähe, von ruralen und urbanen Praktiken und der Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigkeiten entsteht. Was in unserer Vorstellung weit entfernt liegt, kommt in eine ungeahnte Nähe, was oft ungewöhnlich und unverständlich ist und uns zugleich auch als Gegenentwurf zur eigenen Lebenswelt erscheint. Seit ihrem „Auftauchen“ in Italien sind die Muriden zumeist als Wanderhändler tätig, anfangs ohne Lizenz und Aufenthaltsgenehmigung, saisonal ihren Aufenthaltsort wechselnd.
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Publikation zum Thema
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Forschungsprojekt
T10 05.12.2023
Europas »Green Deal« – Eine verhängnisvolle Affäre?”
Architektur, Ökologie und Politik
Ursula von der Leyen setzt sich seit ihrem Amtsantritt als Präsidentin der EU-Kommission für eine Reforminitiative ein, um aus den vielen Krisen der Europäischen Union zu führen. Für das Überleben des Plan¬eten Erde gibt es genauso keine Alternative zum grünen Wandel, wie für das politische Projekt Europas den Prozess der Einigung. Deshalb lancierte die EU-Kommission die Idee eines „Europäischen Bauhauses“, eines ökonomischen und zugleich wirtschaftlichen Projekts, mit dem der europäische „Green Deal“ beispielhaft eingeleitet und Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden soll. Doch damit nicht genug: »Der Green Deal muss auch ein neues kulturelles Projekt für Europa sein!«, fordert von der Leyen. Selten zuvor hat die EU-Kommission von den Architekt*innen so viel Beifall erhalten. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass hier vieles im Copy-Paste-Modus verläuft. Im Kern des Vorhabens wirkt der leere Signifikant »ökologische Modernisierung«, der die jüngst plausible These von der Notwendigkeit einer Postwachstumsökonomie außer Kraft setzt und das Ökologische entpolitisiert. Schon das historische Bauhaus stand für den Wandel und die Avantgarde. Zwar bräuchten wir diesen Wandel unbedingt, aber vieles deutet darauf hin, dass hier lediglich eine innerdeutsche Debatte rund um die Energiewende auf die europäische Ebene übertragen wird. Bei der Reaktivierung des Bauhaus-Mythos fällt auf, dass damit die Kreativwirtschaft unserer Tage, einer der größten Arbeitsmärkte für die Zukunft, gemeint ist. Betrachtet man den Green Deal unter dem Vorzeichen der „Infrastrukturen der Externalisierung“, so wird deutlich, dass Europa seine ökologischen Probleme externalisiert, anstatt seinen Energiebedarf drastisch zu reduzieren. Leitet der Green Deal die versprochene Umweltpolitik ein? Welches Potential hat das Europäische Bauhaus als „kulturelles Projekt“? Ist es eine große Chance für die Architekt*innen oder werden sie damit lediglich in die Rolle gedrängt, das Notwendige schön färben zu müssen?
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T11 12.12.2023
Tirol isch lei oans
Architektur und Landschaft
Landschaft hat Konjunktur – als Gegenstand der Künste und als Kategorie theoretischer Reflexion. Im politischen Diskurs erscheint sie heute zumeist als Teil der Orientierung auf ökologische Nachhaltigkeit (Veränderungsdynamik moderner Gesellschaften bedrohen die Natur). In der Migrationsforschung spricht man von ‚sozialen Landschaften’, die durch den Einfluss der Medien entstehen usw. Die Diskussion über ‚Landschaft’ umfasst verschiedenste Disziplinen, daher ist es naheliegend, dass auch in den CS darüber nachgedacht wird, bzw. ‚Landschaft’ in das magische Dreieck der CS einspannt. Tirol bietet sich an, um über ‚Landschaft’ nachzudenken. Es ist ein von der Freizeitindustrie sehr intensiv genutztes Territorium. Die Freizeitindustrie ist heute die größte Industrie der Welt. Der Tourismus organisiert unsere Erfahrung von der Welt. Trotz der intensiven Nutzung wird noch immer der Mythos gepflegt, hier lasse sich ein ‚ursprüngliches Naturerlebnis’ machen, Erholungssuchende fänden hier ‚Natur pur’, Sportbegeisterte ‚die weiße Pracht’, Nostalgiker Landschaften, ‚in denen die Zeit stehengeblieben ist’ (Menschen, die bei der Arbeit jodeln?).
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T12 09.01.2024
Panorama und Panoptikum
Architektur, Fotografie und öffentlicher Raum
Der Schweizer Fotograf Jules Spinatsch stellt seine Kamera auf im Stadtrat von Toulouse, beim Weltwirtschaftsforum in Davos, in einer Justizvollzugsanstalt, im Headquarter von SAP, in der Frankfurter Börse, im Wiener Opernball oder in einem Fußballstadion. Auffallend ist, dass es neben den Gebäuden der Gegenwart auch solche sind, die eindeutig zu einer historischen Epoche gehören: Die Oper ist der Repräsentationsraum des 18. Jhrts., das Panorama ist das Massenmedium des 19. Jhrts. und »Bentham's Panopticon«, der emblematische Raum für die Überwachung, ist ein Kind der Aufklärung und beeinflusste Gefängnisbauten der viktorianischen Zeit. Die bildhafte Vermessung der Orte - die »semi-automatische Dokumentation« - orientiert sich an diesen Typologien, die Spinatsch zum Teil des kollektiven Gedächtnisses macht und in ihren Gegenwartsbezügen reflektiert. Spinatsch widmet sich dem Thema Panorama, Fotografie und Überwachung. Nach und nach löste er sich von der Überwachungskamera, die anfangs noch digitale Webcams waren, und machte schrittweise die semi-automatische Aufnahme zum Bildgenerator. Zuerst wird die Kamera so programmiert, dass sie den Raum im gewünschten Ausmaß panoramatisch aufnimmt, also in einer bestimmten Richtung mit einer definierten Bildanzahl. Danach greift der Künstler nicht mehr ein, bis die Kamera fertig ist. Das Ergebnis ist ein Panoramabild mit 600 bis zu 10.000 Aufnahmen, je nachdem, wie viele in einem definierten Zeitraum entstanden sind. Die Aufnahme zeigt einen kontinuierlichen Raum, kein Abschnitt wird ausgelassen. Das Panorama führt auf direktem Weg zur Fotografie, wie Walter Benjamin erklärt. Es erlebte seinen Höhepunkt als Massenmedium im 19. Jhrt., der panoramatische Blick selbst aber entfaltet erst mit der rotierenden Kamera, die alles erfasst, sein ganzes Potential. Die Kamera erzeugt einen Totaleindruck (»pan-hórama»), den wir als Menschen mit unserem eingeschränkten Sehvermögen nie erreichen können. Wie beim historischen Vorläufer enthalten sie bei Spinatsch Ereignisse unterschiedlicher Zeitdauer (z.B. bei einem Schlachtenpanorama) in einem kontinuierlichen Raum. Während der Raum kontinuierlich ist, unterbricht die Kamera mit ihrem programmierten Aufnahmerhythmus das Kontinuum der Zeit. Der öffentliche Raum gilt als Gradmesser für den Zustand der Demokratie. Spinatschs zusammengesetztes Panoramabild, die mögliche oder unmögliche Sichtbarkeit des öffentlichen Raumes, die Frage nach seiner Repräsentierbarkeit, ist nicht nur ein fotografisches Problem; es geht hier stets um eine politische Dimension. Die neuen Medien ermöglichen Kommunikation ohne Beziehung oder Vermittlung, eine politische Logik, die losgelöst ist von Bestätigung, einer Ökonomie, von Territorialität und von Beziehung. Die Krise der Demokratie ist eine Krise der Medien. Spinatsch kriecht nicht nur in die Black Box seiner Kamera, sondern auch in das digitale Panoptikum. Er durchkreuzt die herrschenden Blickregime und überwacht die Überwacher. Damit macht er auch klar, dass Politik auch im Zeitalter der Digitalisierung noch an identifizierbaren Orten stattfindet.
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T13 16.01.2024
Guattaris Fledermaus - Entwurf einer Ökologie der Sorge
Medienarchitektur und Ökologie
Die ökologische Krise beschleunigt sich. Weltweit sind allein in den letzten Jahrzehnten die Populationen vieler Arten im Durchschnitt um 70 Prozent geschrumpft. Das 21. Jahrhundert ist zu einer Arena des Kamp-fes zwischen zwei scheinbar entgegengesetzten Welten geworden. Eine davon ist der unaufhaltsame tech-nologische Fortschritt. Das wachsende ökologische Bewusstsein der Gesellschaft ist der andere Pol. Muss man auf Technologien ganz verzichten, um die Welt zu retten? Oder kann man beides auf eine kreative Art und Weise miteinander verbinden?
Der franz. Psychoanalytiker Félix Guattari schafft mit seiner »maschinischen Ökologie« die Grundlage für eine ethisch-ästhetische und zugleich mikropolitische Praxis, die beide Sphären »transversal« durchquert und sich auf etwas Anderes hin öffnet. In seinem Buch “Die drei Ökologien” sucht Félix Guattari eine Antwort auf die Katastrophen unserer Zeit, indem er die Umwelt im Großen mit der sozialen und der mentalen Ökolo-gie transversal – das heißt mit einem kritischen Querschnittsdenken – verknüpft.Guattaris wohl originellster Anteil an der Theoretisierung von Ökologie ist seine Suche nach neuen Formen der Subjektivität.
Daniela Mitterberger und Tiziano Derme von MAEID nehmen mit ihren künstlichen Ökologien und Assem-blagen von Mensch, Tier, Pflanze und Maschine diesen Gedanken auf. Sie entwerfen eine lebendige und performative Medienarchitektur, die zu neuen Sichtbarkeiten für komplexe Weltbezüge führt und neue Prak-tiken der Subjektivierung, Kollaboration und Koexistenz beinhaltet. Zugleich bietet sie Ansatzpunkte, die Plausibilität der Techno-Ökologie in den Blick zu nehmen und zu fragen, was sie der Architektur in der aktuellen Lage versprechen. Reicht die Positionierung des Ästhetischen aus oder sollte man nicht vielmehr ethische Fragen stellen?
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T14 23.01.2024
Beam me up, Scotty!
Architektur und Körper
Blättert man heute eine beliebigen Cultural Studies Reader durch, so ist die Menge der Aufsätze, die ein „body“, „difference“ oder „text“ im Titel tragen, kaum zu übersehen. Kultur macht Unterschiede, Kultur schreibt sich in den Körper ein und sie kann wie ein Text gelesen werden, soviel wird schnell klar. Galt die Hauptaufmerksamkeit der frühen Arbeiten der als “Gründungsväter” gehandelten Williams, Hoggart und Thompson noch dem Begriff der ‘Klasse’ und den Erfahrungen der Arbeiterklasse, so hat sich das Interesse seit den 70er und 80er Jahren und der Auseinandersetzung mit Gramsci, Psychoanalyse, sowie diversen Is-men und Post-Ismen stark erweitert und Kategorien wie das ‘Andere’, ‘Geschlecht’, ‚Körper’ und ‘Ethnizität’ in den Mittelpunkt gerückt.
Der erste Teil der Vorlesung geht auf den Zusammenhang von Körper und Kultur ein. Dabei spielt auch die Aktionskunft eine wichtige Rolle. Anhand der österreichischen Avantgarde-Szene in der Architektur der 60er Jahre zeigt die Bedeutung der Aktionskunst für die jungen Architekten jener Zeit. Der Architektur-Teil diskutiert weiters die Kontextualisierung des Körpers in drei Schritten (Architecture as the Prosthetic Body of Fashion, Architecture as the Moving Body of Urbanism, Architecture as the Technologized Body of Me-datecture). Im abschließenden Teil geht es um die Unterscheidung von Konzepten wie ‘Hylomorphismus’ (Form-Komponente des Körpers) und der ‘Fragmentierung von Strömen’ (Maschinencharakter) des Körpers anhand des ‘organlosen Körpers’ von Deleuze und des ‘Spiegelstadiums’ von Lacan.
T14 23.01.2024 (alternativ)
“The Sensemaking Machine”
Paranoia, Surreslismus & Künstliche Intelligenz
Der Paranoiker ist die paradigmatische Figur der Gegenwart. Er stellt Beziehungen her zwischen einem flüchtigen Blick und dem Weltganzen. Er findet Verknüpfungen dort, wo vorher keine waren. Das ist eine gute Definition für die paranoische Grundstimmung unserer Zeit, aber auch für die Künstliche Intelligenz, deren Bilder »schön sind, wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch«, so der berühmte Satz, den die Surrealisten so sehr liebten. Der Autor nimmt die unerwartete Nachbarschaft von Surrealismus und ökologischem Denken in den KI-generierten Bildern zum Anlass für eine ungewöhnliche Betrachtung. In den im Internet auftauchenden »surreal artworks« findet er nicht nur zentrale Konzepte und Techniken des Surrealismus, sondern auch eine »originale Syntax«. Jacques Lacan bezeichnet damit den Zusammenhang von Paranoia und Theorie, also eine ganz eigene Art der Herstellung von Wissen über die Welt, die strukturelle Ähnlichkeit zur Paranoia aufweist. Für den Autor ist das »paranoische Wissen« der Schlüssel, um die Frage zu beantworten, was denn eigentlich die KI-Kunst zur Kunst mache. Er rekonstruiert die immanente paranoische Perspektive der KI und stellt damit eine kritische Neubewertung unserer digitalen Kultur in Aussicht ...