Peter Volgger spricht mit Sarah Theurer
Das Haus der Kunst in München zeigte vom 8.4. – 31.7.22 die Ausstellung „Nebel Leben“, eine Retrospektive der japanischen Künstlerin und Bildhauerin Fujiko Nakaya. Als Pionierin der Videokunst war sie Mitbegründerin des Künstler*innen-Kollektivs „Video Hiroba“, 1980 eröffnete sie Japans erste Videogalerie. Gegen Ende der 1960er Jahre tauchten neue Fragestellungen in der Kunst auf. Kunst löst sich auf, strömt aus dem Museum heraus und verbindet sich mit der Umwelt, z.B. bei Robert Morris‘ Werk „Steam“ (1967) und Gotthard Graubners „Nebelraum” (1968 – 72). Auch Fujiko Nakaya gehört zu den frühen Künstler*innen, die mit Nebel arbeiten: Mit ihrer „Fog Sculpture“ hüllte sie 1970 auf der Weltausstellung in Osaka den Pepsi-Pavillon ein. Seitdem arbeitet sie mit Luft und Wasser und schafft auf diese Weise „Nebel-Skulpturen“, die die Besucher*Innen erleben können.
Beim Nebel geht’s um das Sehen. Wer von außen auf den Nebel blickt sieht ein fortlaufendes Spiel fluktuierender Formen und ein ständiges Entstehen von Formen. Wer sich im Nebel befindet erleidet den Verlust seines Seh- und Orientierungsvermögens. „Nebel lässt sichtbare Dinge unsichtbar werden, während unsichtbare – wie Wind – sichtbar werden“, sagt die Künstlerin dazu. Auf den Punkt gebracht: Es gibt nichts so deutlich zu sehen, wie unsere Abhängigkeit vom Sehen.
Der Nebel macht auch etwas mit unserem Empfinden. Wer kennt nicht den Herbstblues, der sich einstellt, wenn eine Landschaft tagelang im Nebel liegt? Jemand ist „benebelt“ meint, jemand ist verwirrt, benommen, verliert Kontrolle, zumindest was das Sehvermögen betrifft. Im Hochgebirge kann eines solche Erfahrung in der Katastrophe enden. Kontrolle abzugeben kann aber auch etwas Positives sein: Der Mensch geht einen Schritt zurück und lässt die Dinge laufen. So gesehen könnte der Nebel auch dafür stehen, dass wir in einer Welt leben in der Dinge irgendwie vorläufig sind und auch irgendwie alle „undicht“. Nebel ist das Medium der Unbestimmtheit par excellence. Der Betrachter steht im Nebel nicht mehr auf sicherem Boden, er vollzieht eine Art Driftbewegung ins Vage, d.h. Dinge lösen sich auf, die diskrete Welt wird unscharf. Das ist eine Grunderfahrung in unserer unsicheren Zeit. Ist der Nebel die geeignete Metapher für den Zustand unserer Welt?
Im Haus der Kunst ist der Nebel jedenfalls willkommen, dort erlebt man ein immersives Nebelkunstwerk. Menschen können eintauchen in einen Nebel, der sich noch dazu in einem Haus befindet. Man kann an der Bewegung von Wasserpartikeln teilhaben und der Nebel wird zu einer körperlichen Erfahrung. Irgendwie scheint der Nebel sogar mit einem mitzugehen, am Körper zu haften. Der Besucher konsumiert das Phänomen nicht mehr nur visuell, sondern tritt körperlich in ein „fog environment“ ein. Er interagiert, weil er das An- und Abschwellen der Dichte des Nebels erlebt. Aus anfänglichen Betrachter*innen werden Partizipierende.
Die Nebelkunstwerke von Fujiko Nakaya setzen sich über die Konventionen der traditionellen Bildhauerei hinweg, weil sie temporär und grenzenlos sind und Temperatur, Atmosphäre und Luftzirkulation flüchtig zu „Skulpturen“ verknüpfen. Im Freien lösen sich „Munich Fog (Fogfall) #10865/II“ und „Munich Fog (Wave) #10865/II“ sogar ganz auf. Die Bezeichnung „Nebel-Skulpturen“ ist passend, weil der Wasserdampf aufsteigt und wieder fällt und damit eine skulpturale Bewegung vollzieht. Diese Skulptur ist choreographiert, durch die Anzahl der Düsen und die Intervalle, in denen sie aktiviert werden.
Idee und Produktion: Peter Volgger, Alexandra Lenz; Kamera, Schnitt, Ton und technische Unterstützung und Social Media Kommunikation: Alexandra Lenz