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Panorama & Panoptikum - Die Fotokunst von Jules Spinatsch

Der Schweizer Fotograf Jules Spinatsch stellt seine Kamera auf im Stadtrat von Toulouse, beim Weltwirtschaftsforum in Davos, in einer Justizvollzugsanstalt, im Headquarter von SAP, in der Frankfurter Börse, im Wiener Opernball oder in einem Fußballstadion. Auffallend ist, dass es neben den Gebäuden der Gegenwart auch solche sind, die eindeutig zu einer historischen Epoche gehören: Die Oper ist der Repräsentationsraum des 18. Jhrts., das Panorama ist das Massenmedium des 19. Jhrts. und »Bentham's Panopticon«, der emblematische Raum für die Überwachung, ist ein Kind der Aufklärung und beeinflusste Gefängnisbauten der viktorianischen Zeit. Die bildhafte Vermessung der Orte - die »semi-automatische Dokumentation« - orientiert sich an diesen Typologien, die Spinatsch zum Teil des kollektiven Gedächtnisses macht und in ihren Gegenwartsbezügen reflektiert.

Spinatsch widmet sich dem Thema Panorama, Fotografie und Überwachung. Nach und nach löste er sich von der Überwachungskamera, die anfangs noch digitale Webcams waren, und machte schrittweise die semi-automatische Aufnahme zum Bildgenerator. Zuerst wird die Kamera so programmiert, dass sie den Raum im gewünschten Ausmaß panoramatisch aufnimmt, also in einer bestimmten Richtung mit einer definierten Bildanzahl. Danach greift der Künstler nicht mehr ein, bis die Kamera fertig ist. Das Ergebnis ist ein Panoramabild mit 600 bis zu 10.000 Aufnahmen, je nachdem, wie viele in einem definierten Zeitraum entstanden sind. Die Aufnahme zeigt einen kontinuierlichen Raum, kein Abschnitt wird ausgelassen. Das Panorama führt auf direktem Weg zur Fotografie, wie Walter Benjamin erklärt. Es erlebte seinen Höhepunkt als Massenmedium im 19. Jhrt., der panoramatische Blick selbst aber entfaltet erst mit der rotierenden Kamera, die alles erfasst, sein ganzes Potential. Die Kamera erzeugt einen Totaleindruck (»pan-hórama»), den wir als Menschen mit unserem eingeschränkten Sehvermögen nie erreichen können. Wie beim historischen Vorläufer enthalten sie bei Spinatsch Ereignisse unterschiedlicher Zeitdauer (z.B. bei einem Schlachtenpanorama) in einem kontinuierlichen Raum. Während der Raum kontinuierlich ist, unterbricht die Kamera mit ihrem programmierten Aufnahmerhythmus das Kontinuum der Zeit.

Der öffentliche Raum gilt als Gradmesser für den Zustand der Demokratie. Spinatschs zusammengesetztes Panoramabild, die mögliche oder unmögliche Sichtbarkeit des öffentlichen Raumes, die Frage nach seiner Repräsentierbarkeit, ist nicht nur ein fotografisches Problem; es geht hier stets um eine politische Dimension. Die neuen Medien ermöglichen Kommunikation ohne Beziehung oder Vermittlung, eine politische Logik, die losgelöst ist von Bestätigung, einer Ökonomie, von Territorialität und von Beziehung. Die Krise der Demokratie ist eine Krise der Medien. Spinatsch kriecht nicht nur in die Black Box seiner Kamera, sondern auch in das digitale Panoptikum. Er durchkreuzt die herrschenden Blickregime und überwacht die Überwacher. Damit macht er auch klar, dass Politik auch im Zeitalter der Digitalisierung noch an identifizierbaren Orten stattfindet.

Idee und Produktion: Peter Volgger, Alexandra Lenz; Kamera, Schnitt, Ton und technische Unterstützung und Social Media Kommunikation: Alexandra Lenz

Video: Pop the Bubble, Gestaltung1